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gleichsam von einer sanften Lust bewegt, um dieses göttliche Haupt. Es scheint
gesalbt mit dem Oele der Götter und von den Grazien mit holder Pracht auf sei¬
nen Scheitel gebunden.
Ich vergesse alles Andere über dem Anblick dieses Wunderwerks der Kunst,
und ich nehme selbst einen erhabenern Stand an, um mit Würdigkeit anzuschauen.
Mit Verehrung scheint sich meine Brust zu erweitern und zu erheben, wie diejenige,
die ich vom Geiste der Weissagung aufgeschwellt sehe, und ich fühle mich im Geiste
weggerückt nach Delos und in die Lyrischen Haine, Orte, die Apollo mit seiner
Gegenwart beehrte: denn mein Bild scheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie
des Pygmalion Schönheit; wie ist es möglich es zu malen und zu beschreiben? Die
Kunst selbst müßte mir rathen und die Hände führen, die ersten Züge, die ich hier
entworfen, kräftig auszuführen. Ich lege den Begriff, welchen ich von diesem
Bilde gegeben, zu dessen Füßen, wie die Kranze derjenigen, welche das Haupt der
Gottheiten, die sie krönen wollten, nicht erreichen konnten. —
Laokoon ist eine Statue im höchsten Schmerze, nach dem Bilde eines Mannes
gemacht, der die bewußte Starke des Geistes gegen denselben zu sammeln sucht;
und indem sein Leiden die Muskeln aufschwellt und die Nerven anzieht, tritt der
mit Starke bewaffnete Geist in der aufgetriebenen Stirn hervor, und die Brust er¬
hebt sich durch den beklemmten Odem und durch die Zurückhaltung des Ausbruchs
der Empfindung, um den Schmerz in sich zu fassen und zu verschließen. Das bange
Seufzen, welches er in sich, und der Odem, welchen er an sich zieht, erschöpft den
Unterleib und macht die Seiten hohl, welches uns gleichsam von der Bewegung sei¬
ner Eingeweide urtheilen laßt. Sein eigenes Leiden scheint ihn aber weniger zu
beängstigen, als die Pein seiner Kinder, die ihr Angesicht zu ihrem Pater wenden
und um Hülfe schreien, denn das väterliche Herz offenbart sich in den wehmüthigen
Augen, und das Mitleid scheint in einem trüben Duft auf denselben zu schwimmen.
Sein Gesicht ist klagend, aber nicht schreiend; seine Augen sind nach der höhern
Hülfe gewendet. Der Mund ist voll Wehmuth und die gesenkte Unterlippe ist
schwer von derselben; in der überwärts gezogenen Oberlippe aber ist dieselbe mit
Schmerz vermischt, welcher mit einer Regung von Wehmuth, wie über ein unver¬
dientes unwürdiges Leiden, in die Nase hinauftritt, dieselbe schwülstig macht und
sich in den erweiterten und aufwärts gezogenen Nüstern offenbart. Unter der
Stirn ist der Streit zwischen Schmerz und Widerstand, wieder in einem Punkte
vereinigt, mit großer Weisheit gebildet. Denn indem der Schmerz die Augenbrauen
in die Höhe treibt, so drückt das Sträuben wider denselben das obere Augen¬
fleisch niederwärts und gegen das obere Augenlid zu, so daß dasselbe durch das
übergetretene Fleisch beinahe ganz bedeckt wird. Die Natur, welche der Künstler
nicht verschönern konnte, hat er ausgewickelter, angestrengter und mächtiger zu zei¬
gen gesucht; da, wohin der größte Schmerz gelegt ist, zeigt sich auch die größte
Schönheit. Die linke Seite, in welche die Schlange mit dem wüthenden Bisse ihr
Gift ausgießt, ist diejenige, welche durch die nächste Empfindung zum Herzen am
heftigsten zu leiden scheint, und dieser Theil des Körpers kann ein Wunder der
Kunst genannt werden. Seine Beine wollen sich erheben, um seinem Uebel zu ent¬
rinnen; kein Theil ist in Ruhe; ja die Meisterstriche helfen zur Bedeutung einer
erstarrten Haut. — I. I. Winckelmann.
5. Indische und Aegvptische Bauwerke.
Wenn die Versteinerungen, welche wir in der Erde entdecken ss. oben), uns über
die Bildung der Erde und über die vorsündfluthigen Thiere re. manche Aufschlüsse er¬
theilen und mit Erstaunen erfüllen, so gewähren die Bauwerke der ältesten Völker,
namentlich der Indier, einen Blick in die Urzeit des Menschengeschlechts, welcher