Full text: Deutsches Lesebuch mit Bildern für Volksschulen

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auseinander und thun damit der Natur auch einen kleinen Dienst, ohne es 
zu wissen; andere gehen in zarte breite Flügel aus, wie die Samenkerne von 
Nadelholzbäumen. Wenn die Sturmwinde wehen, wenn die Wirbelwinde, 
die im Sommer vor den Gewittern hergehen, alles von der Erde aufwühlen 
5 und in die Höhe führen, dann säet die Natur aus und ist mit einer Wohl¬ 
that beschäftiget, während wir uns fürchten oder über sie klagen und zürnen; 
dann fliegen und schwimmen und wogen eine Menge von unsichtbaren Keimen 
in der bewegten Luft herum und fallen nieder weit und breit, und der nach¬ 
folgende Staub bedeckt sie. Bald kommt der Regen und befeuchtet ihn, und 
10 so wird's auf Flur und Feld, in Berg und Thal, auf First und Halden auch 
wahr, daß etliches auf dem Weg von den Vögeln des Himmels gefressen 
wird, etliches unter den Dornen zu Grunde geht, etliches auf trocknem Felsen¬ 
grund in der Sonnenhitze erstirbt, etliches aber gut Land findet und hundert¬ 
fältige Frucht bringt. Weiter sind manche Kerne für den Wind zu groß und 
15 zu schwer, aber sie sind rund und glatt, rollen auf der Erde weiter und 
werden durch jeden leichten Stoß von Menschen oder Tieren fortgeschoben. 
Andere sind mit umgebogenen Spitzen oder Häklein versehen, sie hängen sich 
an das Fell der Tiere oder an die Kleider der Menschen an, werden fort¬ 
getragen und an einem andern Orte wieder weggestreist oder abgelesen und 
20 ausgesäet, und der es thut, weiß es nicht oder denkt nicht daran. Viele 
Kerne gehen unverdaut und unzerstört durch den Magen und die Gedärme 
der Tiere, denen sie zur Nahrung dienen sollen, und werden an einem andern 
Ort wieder abgesetzt. So haben wir ohne Zweifel durch Strichvögel schon 
manche Pflanze aus fremden Gegenden bekommen, die jetzt bei uns daheim 
25 ist und guten Nutzen bringt. So gehen auf hohen Gemäuern und Türmen 
Kirschbäume und andere auf, wo gewiß kein Mensch den Kern hingetragen 
hat. Noch andere fallen von den überhangenden Zweigen ins Wasser, oder 
sie werden durch den Wind und Überschwemmungen in die Ströme fort¬ 
gerissen und weiter geführt und an andern Orten durch neue Überschwem- 
30 mungen wieder auf dem Lande abgesetzt. Ja einige schwimmen auch wohl 
auf den Strömen bis ins Meer, erreichen das jenseitige Gestade und Heimen 
sich alsdann in einer landesfremden Erde ein. Es sind da und dort schon 
Pflanzen als Unkraut aufgegangen, von denen man wohl wissen kann, daß 
der Samen dazu auf diese Art über das Meer gekommen sei. Also müssen 
35 alle Kräfte und Elemente die wohlthätigen Absichten des Schöpfers befördern, 
Schnee und Regen, Blitz und Hagel, Sturm und Winde, die seine Befehle 
ausrichten. 
4. Aber das ist ja eben die Plage des Landmannes! Daher kommt 
also das viele Unkraut im Gartengelände und auf den Ackerfurchen, das der 
40 schönen gereinigten Saat Raum und Nahrung stiehlt, so viele Mühe macht 
und doch mit aller Geduld und Sorgfalt nicht vertilgt werden kann! Die 
Sache ist nicht so schlimm, wie sie scheint. Denn zum ersten ist der Mensch 
nicht allein ans der Erde da. Viele tausend Tiere aller Art, von mancherlei 
Natur und Bedürfnissen, wollen auch genährt sein und warten auf ihre Speise 
45 zu seiner Zeit. Manche davon sind uns unentbehrlich, und wir wissen's wohl; 
manche schaffen uns großen Nutzen, und wir wissen's nicht; und es muß doch 
wahr bleiben, woran wir uns selber so oft erinnern, daß sich eine milde
	        
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