IIl. Geographisches.
Dagegen erblickt man hier fast gar nicht den Kleinhandel auf offenet
Straße. — Ganz anders ist es in dem alten Stadtteil. Die
Straßen sind von Häusern mit hohen Giebeln eingefaßt, die von der
Dachkammer bis in den Keller bewohnt sind. Fußgänger, Rollwagen
und öffentliche Fuhrwerke bewegen sich bunt durcheinander. Das Wagen—
rasseln, der Peitschenknall und das Ausrufen der Verkäufer verursachen
einen unaufhörlichen Lärm. Lange, buntgefärbte Schilder bedecken die
Vorderseite der Häuser. Hier sind Seefische und Austern abgemalt,
dort Herrenröcke, Mützen, Stiefel, Stühle ꝛc. Da stehen hinter hohen
Spiegelscheiben Südfrüchte, Kleider, Gemälde, Uhren und Goldwaren.
Die Erzeugnisse aller Länder sind hier zur Schau gestellt. — Noch
größer ist der Lärm in denjenigen Straßen, in welchen die jüdischen
Kleinhändler auf zweiräderigen Karren die Waren feil bieten. Sie
warten nicht bis ein Käufer herantritt, sondern sie rufen vom Morgen
bis zum Abend ihre Waren aus. — Hinter den Karren sieht man
dunkle Gewölbe und Gänge in den Häusern, in welchen die Trödler
ihre Waren ein-⸗ und verkaufen. Da werden abgelegte Kleider umge—
arbeitet, gereinigt und wieder ausgeboten. Nichts ist zu schlecht und
zu zerrissen, was da nicht zum Verkauf und zur Verarbeitung gebracht
werden könnte.“
23. Die Äberschwemmungen der Halligen.
An der Westküste des Herzogtums Schleswig liegen mehrere
JIn eln, die als UÜberreste einer zusammenhängenden Landstrecke an—
zusehen sind. Die kleineren derselben führen den Namen Halligen.
Eine solche Hallig ist ein flaches Grasfeld, das kaum 1 m hdher liegt
als der Stand der gewöhnlichen Meeresflut. Daher steigt dieselbe
häufig bis an die Fenster der darauf befindlichen Hütten. Man glaubt
dann nicht, daß diese Wohnungen menschliche Wesen bergen, daß Greise,
Männer, Frauen und Kinder ruhig um ihren Tisch sißen und kaum
einen flüchtigen Blick auf den sie umdrängenden Ocean werfen. Manch
aus seiner Bahn verschlagenes Schiff segelte schon in solchen Zeiten
bei nächtlicher Weile über eine Hallig hinweg, und die erstaunten See—
leute glaubten sich von Zauberei umgeben, wenn sie auf einmal neben
sich ein freundliches Kerzenlicht durch die Fenster einer Stube schim—
mern sahen, die keinen ändern Boden als die Wellen zu haben schien.
Mit der Flut bricht oft zugleich der Sturm auf das Eiland ein.
Die Wasser steigen gegen 6 mm über ihren gewöhnlichen Stand hinauf.
Das Meer sendet in immer neuen, langen Zügen seine Wassermassen
gegen die Werften, auf denen die Wohnungen stehen. Der Erdhügel,
der nur eine Zeit lang zitternd widerstand, giebt nach; ein Stück bricht
nach dem andern ab ünd schießt in die Flüt. Die Pfosten des Ge—
bäudes werden dadurch entblößt; das Meer faßt und rüttelt sie. Der
erschreckte Bewohner des Hauses rettet erst seine besten Schafe hinauf
auf den Boden; dann 2 er selber nach. Und hohe Zeit war es;
denn schon stürzen die Mauͤern, und nur noch einzelne Ständer halten