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130. Götterglaube der alten Germanen.
mit ihm UM den Preis wetteifert. Des Feindes Scharen sind zersprengt;
nur wenige Haufen ragen noch aus dem Meere der Schlacht empor.
Da faßt den Varns Verzweiflung, und er stürzt sich in sein Schwert.
Nur wenige von dem ungeheuren Nömerheere entrinnen glücklich nach
der Feste Aliso an der oberen Lippe; die meisten liegen auf dem Wal¬
platze. Die Gefangenen wurden zum Dank den Göttern geopfert oder
in die Sklaverei geschleppt. Am grausamsten rächte sich das Volk an
den römischen Sachwaltern und Schreibern, die ihm statt des guten
alten Rechts das neue aufgedrängt hatten; einem derselben wurde die
Zunge ausgerissen mit den Worten: Nun höre auf zu zischen, Natter!
Was die neuere Geschichte Eigentümliches und Ausgezeichnetes hat in
Art und Bildung, das steht auf dem großen Tage im Teutoburger
Walde (9 n. Chr.), aus welchem Hermann seinem treuen Weibe die
Freiheit des deutschen Volkes heimbrachte; den ewigen Ruhm seines
Namens sah ihm Thusnelda auf der Stirn leuchten, da sie dem Helden
wieder am Herzen lag. Dem Marbod aber, dem Fürsten der Marko¬
mannen, schickte Hermann das Haupt des Varus zur Mahnung, daß
alle Deutschen nur einen Feind hätten und für eine Freiheit kämpfen
sollten. Marbod, welcher seine eigene Macht gründen, nicht die Freiheit
des Vaterlandes wollte, schickte den Varuskopf nach Rom. Als Augustus
die Nachricht von Varus' Niederlage erhielt, stieß er in Verzweiflung
die Stirn an die Wand seines Palastes und ries aus: „O Varus,
Varus, gib mir meine Legionen wieder!" Ganz Rom sah in Bestür¬
zung die Tage der Cimbern und Teutonen wiederkehren; aber die Deut¬
schen begnügten sich damit, die Zwingburgen der Römer zu brechen und
das Land bis an den Rhein von den Römern zu befreien.
130. Götterglaube der alten Germanen.
Von David Müller.
Es waren die Kräfte der Natur, welche die Germanen unter den
riesigen Bäumen, an rauschenden Wasserströmen, auf weitblickenden
Höhen und in schauerlichen Waldschluchten verehrten. Aber dieselben
hatten bereits bei unsern Vorfahren persönliche Gestaltungen angenommen,
wenn auch nicht in so vollendetem Grade, wie dies bei den Griechen
geschehen war. Und noch heute leben diese Gestalten, unserm Volke
unbewußt, in Märchen und Sagen, in Zauberspuk und Gespenster¬
glauben unter uns fort und lassen uns schließen ans die einst von
unsern Vorfahren verehrten Götter.