311
dem Löwen die eigene Furcht verriete oder ihn zur Verteidigung
aufzufordern schiene. Der Ausgang beweist, daß er selbst sich
nicht minder gefürchtet hat als der Mensch; denn nach einiger
Zeit erhebt er sich langsam, geht unter beständigem Umsehen einige
Schritte zurück, legt sich wieder, entfernt sich abermals in immer
kürzeren Zwischenräumen und nimmt endlich, wenn er ganz aus
dem Bereiche der Macht des Menschen gekommen zu sein glaubt,
in vollem Laufe die Flucht. So einstimmig nun auch diese Tat¬
sache von Landleuten aus allen Teilen der Kolonie am Kap ver¬
sichert wird, so mag dennoch dieser Versuch eben nicht oft angestellt
worden sein. '
Vormals, als es noch mehr Löwen gab, stellte man große,
gemeinschaftliche Jagden auf einen Löwen an, suchte ihn in die
Ebene zu locken und schloß einen großen Kreis um ihn her. So¬
wie er an einer Seite durchbrechen wollte, ward von der ent¬
gegengesetzten auf ihn geschossen, und während er sich nun zornig
dorthin wandte, trafen ihn von der Rechten und Linken so viele
Kugeln, daß er fiel. Jetzt aber geht man selten anders als zu zweien
auf die Löwenjagd, und recht fertige Schützen, die ihres Schusses
gewiß sind und sich darauf verlassen können, daß ihr Gewehr nicht
versagt, wagen es auch wohl, ganz allein die Spur eines Löwen
zu verfolgen und ihn in seinem Schlupfwinkel aufzusuchen. Ge¬
fährlich bleibt ein solches Unternehmen allerdings, und man erlebt
häufig Unglücksfälle. Hier ein paar Beispiele.
Der Holländer Tjaard van der Walt und sein Bruder Jo¬
hannes verfolgten nicht weit von ihren Wohnplätzen am östlichen
Abhange der Schnecberge die Spur eines großen Löwen, der unter
ihren Herden vielen Schaden angerichtet hatte, und fanden ihn endlich
in einer mit rauhem Gebüsche bewachsenen Schlucht. Sie nahmen ihre
Stellung zu beiden Seiten des Ansgangs und schickten ihre Hunde
hinein, um den Löwen herauszujagen. Das glückte denn auch; der
Löwe stürzte nach der Seite des letztgenannten Bruders hervor, legte
sich zum Sprunge und ward von ihm geschossen. Unglücklicher¬
weise hatte aber der Schuß nicht recht getroffen, sondern nur das
Ohr und die eine Seite der Brust gestreift. Nach einer kurzen
Betäubung von wenigen Sekunden erholte sich das Tier und
stürzte nun, wütend vor Schmerz, mit solchem Grimme auf den
Jäger, daß er kaum Zeit hatte, sich aufs Pferd zu werfen und