43
daß es die ganze Gasse hören konnte: „Heut' geh' ich zum Herrn
Paten! Heut geh' ich zun! Herrn Paten!" Ungehalten über den
argen Schreihals, wollte sein Vater ihm wehren. Aber ehe er
noch das verquollene Fenster aufbringen konnte, war der kleine
Sänger schon zum Tempel hinein und — kehrte nach einigen
Augenblicken als Friedensbote wieder zurück. Statt des Ölzweiges
hatte er einen geschenkten Eierring in der Hand und rief, über
die Schwelle in die Stube hineinstolpernd: „Der Herr Pate läßt
Vater und Mutter recht schön grüßen, und ich soll bald wieder
kommen."
Noch an dem nämlichen Abende wechselten die Nachbarsleute
eiuige freundliche Worte über die Gasse; an: folgenden saßen die
weiße und die gelbe Schürze wieder aus der grünen Bank bei-
sammen; am dritten zeigten die Weiber einander die Leinwand,
zu der sie in den bösen drei Jahren oft mit ihren Tränen über
den unseligen Zwist den Faden genetzt hatten.
Ilud es war hohe Zeit, daß der Herr den Friedensboten
erweckt hatte. Denn einige Wochen darauf verfiel der Bäcker
unerwartet schnell in einen Nervensieberschlas und aus diesem nach
wenigen lichten Augenblicken in den Todesschlummer. 0föbcr
2. Kannitverstaii.
Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, Betrachtungen
über den Unbestand aller irdischen Tinge anzustellen, wenn er
will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch
nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen.
Aber auf dem seltsamsten Umwege kam ein deutscher Handwerks¬
bursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu
ihrer Erkenntnis. Denn als er in die große und reiche Handels¬
stadt voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger
Menschen gekommen war, siel ihm sogleich ein großes und schönes
Haus in die Augen, wie er aus seiner ganzen Wanderschaft von
Tuttlingen bis nach Amsterdam noch keines gesehen hatte. Lange
betrachtete er mit Verwunderung dieses kostbare Gebäude, die
sechs Schornsteine auf dem Dach, die schönen Gesimse und die
hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Tür.
Endlich konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden an¬
zureden. „Guter Freund," redete er ihn an, „könnet Ihr mir nicht