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77. Das Ganze halt!
iEine Manöverbetrachtung.1
1. Viele Stunden lang hat das Gefecht hin und her gewogt. Seit
dem Morgengrauen sind die Truppen auf den Beinen, und jetzt hat die
Sonne ihren Höhepunkt längst überschritten. Das war wieder ein Gelaufe
heute? — Erst fünf Stunden auf der Chaussee und nicht die geringste
Fühlung mit dem Feinde. Endlich ein paar Schüsse drüben am Waldes¬
rand. Aha, jetzt geht's los! — „Kompagniekolonne formieren!" ruft der
Bataillonsadjntant im Vorüberjagen. Es wird ausgeschwärmt; langsam,
aber sicher geht die Schützenlinie vor. „In den Graben! Nieder!" er¬
tönen die Kommandorufe. „Auf die feindliche Schützenlinie vor dein
Walde! 400 Meter! Kleine Klappe! Ruhig zielen!"
Eine Weile geht nun das Schießen hinüber, herüber. Es ist eine
Wonne, endlich einmal ein paar Minuten zu liegen mit dem schweretl
Tornister auf dem Rücken. Aber das Vergnügen hält nicht lange vor. —
„Auf! — Marsch! Marsch!" befiehlt der Hauptmann wieder, und vorwärts
geht es über Stilrzacker, durch Kartoffeln und Rüben. Von hinten her
kommen die Geschütze. Hurra! Das Gehölz ist genommen, der Sieg ist
unser! —
Aber was ist das? — Ein Schiedsrichter kommt herangesprengt.
„Das Bataillon hinter den Wald zurück!" ruft er dem Major zu. Also
war es nichts mit dem Siege, und das Gelaufe beginnt von neuem.
Zurück und vor, wieder zurück und wieder vor, bis sich die beiderseitigen
Kolonnen so ineinander verschoben haben, daß es zur Entscheidung kom¬
men muß.
Aus den fünf Stunden, die man unterwegs war, sind inzwischen
zehn geworden, und die Sonnenglut hat mittlerweile auch nicht abge¬
nommen. Von dem Kaffee in der Feldflasche ist längst kein Tropfen mehr
vorhanden. Die Zunge klebt am Gaumen, und der Magen fängt bedenk¬
lich an zu knurren. Aber noch immer donnern von den Höhen ringsumher
die Geschütze; noch immer knattern die Maschinengewehre; noch immer er-
töick von allen Seiten der dumpfe Klang der Trommeln, die zum An¬
griff schlagen.
2. Da erscheint endlich am Signalballon der Manöverleitung das lang¬
ersehnte Zeichen. Mit Jubel nehmen es die Hornisten und Trompeter
auf, und bald ist bis in das äußerste Winkelchen des weiten Manöver¬
feldes die Freudenbotschaft gedrungen, die alle Mienen heiter werden läßt:
„Das Ganze halt!"