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Alle standen sogleich auf und wendeten ihre Taschen um,
ohne daß die Dose zum Vorschein kam. Nur der Fähnrich
blieb in sichtbarer Verlegenheit sitzen und sagte: „Ich wende
meine Taschen nicht um; mein Ehrenwort, daß ich die Dose
nicht habe, sei genug." Die Offiziere gingen kopfschüttelnd ans
einander, und jeder hielt ihn für den Dieb.
Am andern Morgen ließ ihn der Oberst rufen und sprach:
„Die Dose hat sich wiedergefunden. Es war in meiner Tasche
eine Naht aufgegangen, und da fiel die Dose zwischen dem
Futter hinab. Nun sagen Sie mir aber, warum Sie Ihre
Taschen nicht zeigen wollten, was doch alle übrigen Herren
Offiziere gethan haben."
Der Fähnrich sprach: „Ihnen allein, Herr Oberst, will ich
es gern bekennen. Meine Eltern find arm. Ich gebe ihnen
daher meinen halben Sold und esse des Mittags nichts Warmes.
Als ich bei Ihnen eingeladen wurde, hatte ich mein Mittagessen
bereits in der Tasche — und da hätte ich mich ja schämen
müssen, wenn beim Umwenden der Tasche ein Stück schwarzes
Brot und eine Wurst herausgefallen wäre."
Der Oberst sagte gerührt: „Sie sind ein sehr guter Sohn!
Damit Sie Ihre Eltern desto leichter unterstützen können, sollen
Sie nun täglich bei mir speisen." Er lud alle Offiziere zu
einem festlichen Gastmahle ein, bezeugte vor ihnen allen die Un¬
schuld des Fähnrichs und überreichte ihm zum Beweise seiner
Hochachtung die goldene Dose als ein Geschenk.
Ehre Vater und Mutter, auf daß dir's wohl gehe!
Denn das ist Gott gefällig und den Menschen wert.
9. Kindliche Liebe einer Tochter.
(Moritz Hartmann.)
In China gilt ein Gesetz, kraft dessen demjenigen, der
sich an den Geldern des Staates vergreift, beide Hände abge¬
hauen werden sollen. Einst hatte ein Beamter dieses Verbrechen
begangen und sollte die gesetzliche Strafe erleiden. Seine
Tochter wagte es, zu dem Kaiser zu gehen und für ihren
Vater zu bitten. Sie fiel dem Kaiser zu Füssen und sagte:
„Ich leugne nicht, grosser Kaiser, dass mein unglücklicher
Vater nach den Gesetzen beide Hände verlieren muss; hier
sind sie!“ Bei diesen Worten hielt sie ihre eigenen Hände
hin und fuhr fort: „Ja, grosser Kaiser, diese Hände gehören
meinem Vater; aber sie sind zu schicach, um seine zahl¬
reiche Familie zu erhalten. Nimm sie also und lass meinem