2. Schaffen und Streben ist Gottes Gebot, Arbeit ist Leben, Nichtsthun der Tod. 145
3. Die Welt mit ibrem Gram und Glücke
will ich, ein Pilger, froh bereit
betreten nur wie eine Brücke
KU dir, §>err, übern Slrout der 3cit. Los. Freiherr v. Mchendorsf.
30. Von der Arbeit.
Es ist eine weise Einrichtung im Menschenleben, daß uns nicht leicht
ohne unser Zuthun etwas zufällt, sondern daß wir uns das, was wir
besitzen und genießen wollen, mit Mühe erwerben müssen. Jener Aus¬
spruch des Herrn im Paradiese: „Im Schweiße deines Angesichts sollst
du dein Brot essen," ist der Menschheit nicht zum Fluche, sondern zum
Segen geworden. Jeder Arbeit verheißt Christus den Lohn, indem er
spricht: „Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert."
Die Arbeit läßt uns nicht nur erwerben, was wir zu des Lebens
Nahrung und Notdurft brauchen; sie erhöht auch unsre Gesundheit und
die Kraft des Körpers; sie gewöhnt uns an eine wohlgeordnete und
überlegte Thätigkeit; sie giebt dem Geiste Heiterkeit und Frohsinn; sie
erweckt in uns das Gefühl der Selbständigkeit; sie übt uns in der
Standhaftigkeit, Selbstbeherrschung und Überwindung von Schwierigkeiten
und Gefahren; sie bricht die Gewalt der Leidenschaften; sie bewahrt uns
vor allen Verirrungen und Lastern, die im Gefolge des Müßiggangs die
Seele bestricken; sie macht uns fähig zu einer gesegneten Wirksamkeit nach
innen und außen; sie erwirbt uns das Vertrauen, die Achtung und Liebe
unsrer Mitmenschen.
Wäre die Einrichtung unsrer Natur anders, so daß uns alles, dessen
wir bedürfen, von selbst zufiele, so würden wir freilich gemächlicher leben;
aber wir würden ans ein sinnliches, halbtierisches, unthätiges und schlaffes
Leben beschränkt sein. Die Ausgabe des Menschen ist es, sich aus den
niedern Kreisen des Erdenlebens durch freie, selbständige Thätigkeit zu
den höhern hinaufzuarbeiten; er soll der Herr der Natur, der Schöpfer
seines Glückes werden, seine Bildung, Veredelung und Vervollkommnung
sich selbst zu verdanken haben. Ohne Mühe und Anstrengung und viel¬
fache Beschwerde kann er aber nirgend zu etwas Würdigem, Edlem und
Großem gelangen. Nicht ans Rosenpfaden, nicht auf gemächlichen und
bequemen Wegen, nicht unter Scherz und Spiel führt uns Gott durch
die flüchtigen Tage. Das Leben ist eine ernste und heilige Sache und
will auch in einem ernsten und heiligen Sinne geführt sein.
Freilich giebt es viele, welche nur arbeiten und erwerben, um zu
besitzen und zu genießen. Sich Schätze zu sammeln, um wie der reiche
Mann im Evangelium alle Tage herrlich und in Freuden leben zu können,
tz. Hirts Deutsches Lesebuch. AuSg. A. XI. 10