Full text: Lesebuch für die Mittel- und Oberstufe (Teil 2, [Schülerband])

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A. Deutscher Lebensspiegel. 
3- Und wer dir seine Brust er¬ 
schließt, 
o thu ihm, was du rannst, zulieb! 
Und mach ihm jede Stunde froh, 
und mach ihm keine Stunde trüb! 
Und hüte deine Zunge wohl, 
bald ist ein böses Wort gesagt! 
G Gort, es war nicht bös ge¬ 
meint. — 
Der andre aber geht und klagt. 
5. G lieb', solang' du lieben kannst! 
ü) lieb', solang' du lieben magst! 
Die Stunde kommt, die Stunde kommt, 
wo du an Gräbern stehst und klagst! 
6. Dann kniest du nieder an der 
Gruft 
und birgst die Augen, trüb und naß, 
—sie sehn den andern nimmermehr, — 
ins lange, feuchte BirchhofögraS. 
7. Und sprichst: ü) schau auf mich 
herab, 
der hier an deinem Grabe weint! 
Bergieb, daß ich gekränkt dich hab', 
o Gott, es war nicht bös gemeint! 
8. Er aber sieht und hört dich nicht, 
kommt nicht, daß du ihn froh um¬ 
fängst; 
der Mund, der oft dich küßte, spricht 
nie wieder: Ich vergab dir längst! 
y. Er that's, vergab dir lange 
schon; 
doch manche heiße Thräne fiel 
um dich und um dein herbes Wort; 
doch still, — er ruht, er ist am Ziel! 
tO. G lieb', solang' du lieben kannst! 
G lieb', solang' du lieben magst! 
Die Stunde komm t, die Stunde kommt, 
wo du an Gräbern stehst und klagst. 
Frrd. Freiirgraih. 
49. Die drei freunde. 
Ein Mann hatte drei Freunde; zwei derselben liebte er sehr, der 
dritte war ihm gleichgültig, obgleich dieser es am redlichsten mit ihm meinte. 
Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er hart, aber unschuldig ver¬ 
klagt war „Wer unter euch," sprach er, „will mit mir gehen und für 
mich zeugen? denn ich bin hart verklagt worden, und der König zürnt." 
Der erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, daß er nicht init ihm 
gehen könne wegen andrer Geschäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur 
Thür des Nichthauses; da wandte er sich und ging zurück aus Furcht 
vor dem zornigen Richter. Der dritte, aus den er am wenigsten gebaut 
hatte, ging hinein, redete für ihn und zeugte von seiner Unschuld so 
freudig, daß der Richter ihn losließ und beschenkte. 
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt. Wie betragen sie sich 
in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert? Das 
Geld, sein bester Freund, verläßt ihn zuerst und geht nicht mit ihm 
Seine Verwandten und Freunde begleiten ihn bis zur Thür des Grabes
	        
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