164
A. Deutscher Lebensspiegel.
3- Und wer dir seine Brust er¬
schließt,
o thu ihm, was du rannst, zulieb!
Und mach ihm jede Stunde froh,
und mach ihm keine Stunde trüb!
Und hüte deine Zunge wohl,
bald ist ein böses Wort gesagt!
G Gort, es war nicht bös ge¬
meint. —
Der andre aber geht und klagt.
5. G lieb', solang' du lieben kannst!
ü) lieb', solang' du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
wo du an Gräbern stehst und klagst!
6. Dann kniest du nieder an der
Gruft
und birgst die Augen, trüb und naß,
—sie sehn den andern nimmermehr, —
ins lange, feuchte BirchhofögraS.
7. Und sprichst: ü) schau auf mich
herab,
der hier an deinem Grabe weint!
Bergieb, daß ich gekränkt dich hab',
o Gott, es war nicht bös gemeint!
8. Er aber sieht und hört dich nicht,
kommt nicht, daß du ihn froh um¬
fängst;
der Mund, der oft dich küßte, spricht
nie wieder: Ich vergab dir längst!
y. Er that's, vergab dir lange
schon;
doch manche heiße Thräne fiel
um dich und um dein herbes Wort;
doch still, — er ruht, er ist am Ziel!
tO. G lieb', solang' du lieben kannst!
G lieb', solang' du lieben magst!
Die Stunde komm t, die Stunde kommt,
wo du an Gräbern stehst und klagst.
Frrd. Freiirgraih.
49. Die drei freunde.
Ein Mann hatte drei Freunde; zwei derselben liebte er sehr, der
dritte war ihm gleichgültig, obgleich dieser es am redlichsten mit ihm meinte.
Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er hart, aber unschuldig ver¬
klagt war „Wer unter euch," sprach er, „will mit mir gehen und für
mich zeugen? denn ich bin hart verklagt worden, und der König zürnt."
Der erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, daß er nicht init ihm
gehen könne wegen andrer Geschäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur
Thür des Nichthauses; da wandte er sich und ging zurück aus Furcht
vor dem zornigen Richter. Der dritte, aus den er am wenigsten gebaut
hatte, ging hinein, redete für ihn und zeugte von seiner Unschuld so
freudig, daß der Richter ihn losließ und beschenkte.
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt. Wie betragen sie sich
in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert? Das
Geld, sein bester Freund, verläßt ihn zuerst und geht nicht mit ihm
Seine Verwandten und Freunde begleiten ihn bis zur Thür des Grabes