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A. Deutscher Lebensspiegcl.
der Tod," sprach er, „ich verschone niemand und kann auch mit dir keine
Ausnahme machen. Damit du aber siehst, daß ich dankbar bin, so ver¬
spreche ich dir, daß ich dich nicht unversehens überfallen, sondern dir erst
meine Boten senden will, bevor ich komme und dich abhole." — „Wohlan,"
sprach der Jüngling, „immer ein Gewinn, daß ich weiß, wann du
kommst, und solange wenigstens sicher vor dir bin." Dann zog er
weiter, war lustig und guter Dinge und lebte in den Tag hinein.
Allein Jugend und Gesundheit hielten nicht lange aus; bald kamen
Krankheiten und Schmerzen, die ihn bei Tage plagten und ihm nachts
die Ruhe wegnahmen. „Sterben werde ich nicht," sprach er zu sich selbst,
„denn der Tod sendet erst seine Boten; ich wollte nur, die bösen Tage der
Krankheit wären erst vorüber." Sobald er sich gesund fühlte, fing er
wieder an, in Freuden zu leben. Da klopfte ihm eines Tages jemand
auf die Schulter; er blickte sich um, und der Tod stand hinter ihm und
sprach: „Folge mir, die Stunde deines Abschieds von der Welt ist ge¬
kommen!" — „Wie," antwortete der Mensch, „willst du dein Wort
brechen? Hast du mir-nicht versprochen, daß du mir, bevor du kämst,
deine Boten senden wolltest? Ich habe keinen gesehen." — „Schweig,"
erwiderte der Tod, „habe ich dir nicht einen Boten über den andern ge¬
schickt? Kam nicht das Fieber, stieß dich an, rüttelte dich und warf dich
nieder? Hat der Schwindel dir nicht den Kopf betäubt? Zwickte dich
nicht die Gicht in allen Gliedern? Brauste dir's nicht in den Ohren?
Nagte nicht der Zahnschmerz in deinen Backen? Ward dir's nicht dunkel
vor den Augen? Über das alles hat auch mein leiblicher Bruder, der
Schlaf, dich jeden Abend an mich erinnert. Lagst du nicht in der Nacht,
als wärst du schon gestorben?" Der Mensch wußte nichts zu erwidern,
ergab sich in sein Geschick und ging mit dem Tode fort.
Grüdrr Trimm.
12. Der Gang zum Grabe.
„Ei, sag mir doch, lieb Schwesterlein: wo willst du hingehn ganz
allein?" „„Ich will hin zu dem Friedhof gehn und nach des Vaters
Grabe sehn."" „Da geh' ich mit, bin gerne dort; gar schön ist's an
dem stillen Ort!" Sie schreiten ernst und Hand in Hand hin zu des
Hügels Blumenrand. Die roten Röslein festlich blühn, die frommen
Kinder schweigend knien. In jedem Aug' ein Thränlein steht, in jedem
Herzen ein Gebet. Die Thränen flössen still herab ans eines guten Vaters
Grab. Und das Gebet? Es stieg hinauf; Gott nahm es wohlgefällig auf.
Äarl WneNn-