T~
194 B. Aus der Geschichte des deutschen Volkes.
85. Karl der Große.
1. Im uralten Münster zu Aachen steht ein schlichter Grabstein.
Darauf sind die Worte zu lesen: „Karl dem Großen". Karl beherrschte
von 768 bis 814 das große Frankenreich. Dies hatte nach und nach
seine Grenzen über das heutige Frankreich, über Deutschland bis zur
Elbe, über Holland, die Schweiz, einen Teil von Italien, Spanien
und Ungarn ausgedehnt.
In seiner Lebensweise war Karl schlicht und einfach wie die übrigen
seines Volkes. Er trug ein leinen Wams und eben solche Beinkleider, einen
Rock von einheimischem Tuch und bisweilen einen kurzen, weißen oder grünen
Mantel. Stets hing ihm ein großes Schwert mit goldenem Wehrgehäng
an der Seite. Nur an Reichstagen und hohen Festen erschien er in voller
Majestät mit einer goldnen Krone auf dem Haupte, angethan mit einem
lang herabwallenden Purpurmantel, der mit goldnen Bienen wie übersät war.
Er war ein echt deutscher Mann, maß 7 seiner eigenen Fußlängen, und
seine Gestalt war von hoher Würde. Seine Augen leuchteten dem Freunde
und dem Hilfeflehenden freundlich, dem Feinde aber furchtbar. Er war der
beste Fechter und Schwimmer unter seinen Franken, im Essen und Trinken
nüchtern, dabei unermüdlich thätig. Sein Schlaf war kurz, selbst des Nachts
stand er von seinem Lager auf, betete oder nahm Schreibtafel und Griffel,
um sich in der Schreibekunst zu üben, die er in seiner Jugend nicht erlernt
hatte. Auch stellte er sich dann ans Fenster und betrachtete ehrfurchtsvoll
und mit Bewunderung den gestirnten Himmel. Früh, während des An¬
kleidens schon, schlichtete er Streitigkeiten, und bei Tische hatte er den
Brauch eingeführt, aus guten Büchern vorlesen zu lassen. Zweimal des
Tages besuchte er die Kirche, am Morgen und am Abend. Er hatte eine
tiefe Ehrfurcht vor dem Worte Gottes. Er sorgte für tüchtige Bischöfe und
Geistliche und rief berühmte Gelehrte, die es damals besonders in Italien
und England gab, an seinen Hof. An den Bischofsitzen und in den Klöstern
errichtete er Schulen. Seine Hofschule sollte ein Muster sein für alle
andern Schulen im Lande. Er achtete es nicht unter seiner Würde, hier
auch einmal selbst eine Prüfung abzuhalten.
2. Sehr blutig und lang waren die Kriege, welche Karl gegen die
Sachsen führte, die damals zwischen dem Rhein und der Elbe als ein
mächtiges Volk wohnten. Ihr kühner Führer Wittekind wurde zwar oft
geschlagen, aber immer erhob er sich wieder, um die Freiheit der Sachsen
zu retten und nach wie vor den alten Göttern dienen zu können. Endlich
ließ sich der tapfere Herzog taufen, und Karl ehrte ihn als einen Helden.
Nach einem einunddreißigjährigen Kriege wurde Friede geschlossen. Karl
war nun bemüht, unter den Sachsen das Christentum zu begründen. Des-