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Unter so traurigen Umständen beging die Prinzessin Sophie
(am 14. Juni) ihren 18. Geburtstag. Weinend trat sie an das Bett
des Vaters und bedeckte dessen Hand mit Müssen. Der Kaiser schrieb
ihr mit zitternder Hand die Worte auf ein Blatt: „Bleibe fromm und
gut, wie du bisher es gewesen. Dies ist der letzte Wunsch deines
sterbenden Vaters."
Als der Kaiser fühlte, das; es zu Ende mit ihm ging, da drängte
es ihn, noch einmal seine nächsten Diener um sich zu sehen, die
Männer, die seit langen Jahren in seinem Dienste standen. So liefe
er sich im Lehnstuhl auf einen sonnigen Platz seines Gartens rollen,
und hier nahm er von allen Dienern Abschied. Jedem reichte er noch
einmal die Hand, und mit Tränen in den Augen schieden die Männer,
denen der Kaiser stets ein liebevoller, nachsichtiger Herr gewesen war.
Vor seinem Ende schrieb Friedrich auf einen Zettel: „Ich habe
nach besten Kräften die Pflichten gegen Gott und mein Land erfüllt;
ich fühle, dafe mein Ende naht, Gottes Wille geschehe!" Als die
Kaiserin diesen Zettel las, brach sie in Schluchzen aus.
Am Morgen des 15. Juni um vier Uhr trat die Kaiserin zum
letztenmale an das Schmerzenslager des geliebten Gatten, und in
den folgenden Stunden war die ganze Familie versammelt. Noch
einmal liefe der kranke Kaiser das sterbensmüde Auge über seine
Lieben schweifen, von einem zum andern, jedem noch einen
Abschiedsblick schenkend. Dann befiel ihn ein tiefer Halbschlummer,
der langsam und ruhig in den letzten Schlaf hinüberleitete. Wenige
Minuten nach elf Uhr am Vormittage erstarb der letzte, kaum noch
wahrnehmbare Atemzug — der kaiserliche Dulder hatte vollendet.
Nach Schiffels.
190. Kaiser Wilhelm II.
1. Aus der Jugendzeit unseres Kaisers.
1. Unser Kaiser wurde am 27. Januar 1859 geboren.
Kanonendonner verkündete das frohe Ereignis den Bewohnern
der Hauptstadt. Von der Schloßkapelle herab ertönte das
fromme Danklied: „Lobe den Herren, den mächtigen König
der Ehren!“
In Berlin, ja im ganzen weiten Vaterland herrschte große
Freude. Besonders freudig bewegt waren Vater und Gro߬
vater; denn der neugeborene Prinz war ja bestimmt, einstmals
Preußens König zu werden.
Nach einigen Wochen fand die feierliche Taufe des Prinzen
statt. Er erhielt die Namen Friedrich Wilhelm. Anfangs wurde
er von seinen Eltern „Fritz“, später „Wilhelm“ gerufen,