20 J 
222. Gesundheit ist ein großer Schatz. 
1. Kunz ging einmal über Land und kam matt und verdrossen 
bei einem Wirtshause an, wo er sich einen Krug Bier und ein Stück 
schwarzes Brot geben ließ. Kurz darauf kam ein schöner Wagen 
gerollt, in dem ein reicher Mann saß, der sich ein Stück kalten Braten 
und eine Flasche Wein reichen ließ und in seinem Wagen verzehrte. 
Kunz sah ihm verdrießlich zu und dachte: „Wer es doch auch so 
gut hätte!" 
Der Reiche merkte es und sagte zu ihm: „Hättest du wohl Lust, 
mit mir zu tauschen?" 
„Das versteht sich," antwortete Kunz, ohne sich lange zu be¬ 
denken. „Steige der Herr heraus, und gebe mir alles, was er hat; 
ich will ihm auch alles geben, was ich habe." 
2. Sogleich befahl der Reiche seinen Bedienten, daß sie ihn aus 
dem Wagen heben sollten. Ach, welch ein Anblick! Seine Füße 
waren gelähmt; er konnte nicht stehen, sondern mußte sich von seinen 
Bedienten so lange halten lassen, bis die Krücken herbeigeschafft 
wurden, auf die er sich stützte. „He!" sagte er, „hast du noch Lust, 
mit mir zu tauschen?" — „Wahrlich, nein!" gab der erschrockene Kunz 
zur Antwort. „Meine Beine sind mir lieber als tausend Pferde¬ 
füße. Ich will lieber Schwarzbrot essen und mein eigener Herr sein, 
als Wein und Braten haben und mich wie ein kleines Kind von 
andern herumführen lassen. Gott behüte mich!" 
Mit diesen Worten stand er auf und ging fort. 
„Hast recht!" rief ihm der Reiche nach. „Könntest du mir deine 
gesunden Schenkel geben, du solltest meinen Wagen, meine Rappen, 
mein Geld, kurz alles dafür haben. Ein gesunder, armer Mann ist 
glücklicher als ein reicher Krüppel." I. «s. Salzmann. 
223. Der geheilte Patient. 
1. Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal 
auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob 
der arme Mann nichts weiß; denn es gibt Krankheiten, die nicht 
in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern 
und in den weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche 
Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag 
saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, 
oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag 
doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: „Windet's 
draußen, oder schnauft der Nachbar so?" — Den ganzen Nachmittag 
aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, 
ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter Langweile bis an den
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.