Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

352 1V. Aus der Geschichte der Landwirtschaft und des Vaterlandes. 
261. Das Anstedelungswesen in Westpreußen und Vosen.“) 
1. Pfingsten, das liebliche Fest der Maien, der Lieder und des 
Wanderns, führte mich zum erstenmal wieder in meine liebe Heimat, 
die ich seit den Tagen einer glücklichen Kindheit nicht mehr gesehen 
hatte. Mein Vater war viele Jahre Lehrer in dem freundlichen 
Dörfchen gewesen, dem ich von der ferneren Eisenbahnstation am ersten 
Festtage zustrebte. Als ich vierzehn Jahre alt war, wurden die Eltern 
in einen größeren Ort versetzt. Ich kam vom Land in die Stadt, 
aus dem stillsten Erdenwinkel in das Getriebe der Welt. Immer 
wieder aber stieg in meiner Erinnerung das Bild des Heimatdörfchens 
auf, das, am Fuße des waldgekrönten Berges gelegen, mit seinem weit— 
schimmernden Kirchturme jeht zu mir herüberwinkte und mich schon 
aus der Ferne freundlich begrüßte. Vergangener Zeiten gedenkend, 
durchschritt ich die wohlbebaute Heimatflur, die sich, ein beredtes Zeugnis 
des Fleißes und der Tüchtigkeit der Besitzer, zu beiden Seiten des 
Weges ausbreitete. Der sonnige, blütenduftende Maientag mit seinem 
festtäglichen Glanz und Frieden versetzte mich in jene wehmütige und 
doch so beseligende Stimmung, die den Wanderer überkommt, der, vom 
Schicksale umhergeworfen, sich wiederum der Heimat nähert. „O, wie 
liegt so weit, o, wie liegt so weit, was mein einst war!“ mußte ich 
unwillkürlich denken, als ich nun als Mann einsam die Pfade wieder 
betrat, die mich des treuesten Elternpaares Auge und Hand zuerst 
geführt. Die Lieben meiner Kindheit, wie waren sie mir jetzt so fern! 
Dort in jenem Häuschen neben dem Kirchlein hatten sich Vater und 
Mutter einst liebend über meine Wiege geneigt, und dort auf den 
Weideplätzen der Schafherden an den Berghängen trieben wir Kinder 
unsere Spiele, türmten wir die Osterfeuer, schlugen wir unsere Schlachten, 
träumten wir unsere Zukunftsträume. — Ja, ich fühlte es, — das 
war die Heimat! Und doch, „wie lag so weit, so weit, was mein 
einst war“. „Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt dir zurück, 
wonach du weinst“, klang mir's aus Busch und Baum entgegen. Zu 
einer geachteten Stelle hatte ich es ja gebracht in meiner Beamten— 
laufbahn da draußen in der großen, aber auch so kalten Welt, und 
doch, was war ich anders als ein ruhe- und heimatloser Wanders— 
mann, der, kaum gekommen, schon wieder weiterziehen mußte und an 
keinem Orte recht einwurzeln konnte. Ja, glücklich der, dem eine 
liebe Heimatstätte beschieden, wo er fern von dem Hasten 
und Jagen der Menschen dankbar des Segens seiner Väter 
genießt, die ihm Haus und Heim gegründet, welche er selbst 
wieder in treuer Lebensarbeit zu bewahren und zu ver— 
bessern sich bestrebt, damit er den teuern Familienbesitz 
seinen Kindern vererbe und in ihrem Gedächtnisse weiterlebe! 
Solchen glücklichen Menschen aber galt ja mein Besuch am sonnigen 
Festtag, und solchen Stätten bescheidenen Glückes strebte ich zu. Da 
) Mit besonderer Erlaubnis des Verfassers im Anschluß an „H. Sohnrey, 
Bauernland, Berlin, Trowitzsch und Sohn, 1897“ bearbeitet.
	        
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