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dert wurde und unbeschädigt im tiefblauen Wasser des Ozeans unter¬
tauchte.
Dröhnend übertönt die Stimme des Kommandanten das Wirrsal.
Schon sind die Rettungsbojen (große, rote, mit Kork gefüllte Kränze)
dem schnell achteraus Treibenden zugeworfen; schon fliegen die
Rahen klirrend herum; das Schiff „dreht bei“, d. h. es wird zum
Stehen gebracht. Mit Aufbietung aller Kräfte gehen die Leute im
Laufschritte längs Deck mit den „Enden“, durch welche die Unter¬
segel „gegeit“, d. h. aufgerafft werden; jetzt rauscht schon der Kutter,
der als Rettungsboot zu dienen hat, in die Tiefe. „Los!“ — er platscht
ins Wasser; die Taue, die ihn gehalten, werden ausgehakt; „Riemen
bei!“ — dahin schießt das Boot, bald auf der Höhe der See, bald
im Wellentale. Oben drängt sich Kopf an Kopf. Das Schiff hatte
zu viel Fahrt; ehe es zum Stehen gebracht werden konnte, in den
zwei Minuten, bis das Boot zu Wasser gelassen wurde, ist der Mann
an 600 Meter vertrieben. Dort arbeitet er. Zuweilen taucht sein
Kopf auf; nun verhüllen die Wellen ihn wieder; er schwimmt wacker.
Wenn er nur die Boje erreicht! Haifische sind, gottlob! nicht in der
Nähe gespürt worden. Die Leute im Kutter rudern, daß die Riemen
aus Eschenholz sich biegen; mit lautem Aufklärungsruf gibt der Boots¬
steurer, im Takte sich neigend, den schnellsten Gleichschlag an. --—
Hurra! Jetzt hat der Schwimmer die Boje! Das Boot schießt heran
und nimmt ihn auf — er ist gerettet! Gottes Hand hat über ihm
gewaltet. Der Kutter nimmt den Rückweg zum Schiffe.
„Alle Mann klar zum Manöver!“ schallt es wieder von der
Kommandobrücke, sobald der Kutter geheißt ist und der Triefende
an Bord kommt. Die harte Tagesarbeit geht ihren Gang weiter.
8. Es ist Abend. Über dem Schiffe Gottes Herrlichkeit droben
am Sternenhimmel. Das „Kreuz des Südens“ steht über uns, und
um den Bug bläuliches Feuer, hinter ihm eine lange, leuchtende
Straße — Meerleuchten in seiner Pracht. Wie Gottesfriede liegt’s
über den Wassern der Tiefe. Das Schiff ist ganz allein in der Welt.
Keine lebende Seele auf viele hundert Meilen! Unten der Abgrund,
oben die Liebe Gottes.
Zwei Lichter scheinen in die Nacht hinaus, an Steuerbord (rechts)
eine grüne, an Backbord (links) eine blutrote Laterne; die müssen
brennen von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang.
Zwei helle Glockenschläge! Neun Uhr! Ein langer, schriller Pfiff
des wachhabenden Bootsmannsmaaten; „Pfeifen und Lunten aus! Ruhe
im Schiff!“ schallt es dröhnend.