Full text: [Dritter Teil = (6. bis 8. Schuljahr)] (Dritter Teil = (6. bis 8. Schuljahr))

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harter Dienst! Aber mögen sich gefreut haben, als sie in der wüsten 
See unser Licht sahen. 
Nun verschwand der letzte Lichtschimmer. Nur von unsern Toppen 
fiel einsames Doppellicht in die Weihnachtsnacht hinaus. „Soll ich nun 
die Lichter anstecken?" fragte mein Maat. „Ja, zünd nur an!" Erging, 
und bald nachher steckte er den Kopf durch die Kajütentür: „So, Kap'tän, 
nun ist's aber fein; kommen Sie nur!" Ich winkte den andern; nur der 
Posten auf Wache blieb oben. Dienst ist Dienst. 
4. Wir traten ein. Ja, da brannte unser sonderbarer Weihnachts¬ 
baum und sah ordentlich hübsch aus. Aber es roch nicht nach Tannen¬ 
nadeln. Die rauhen Gesellen standen still und ganz andächtig da. „Das 
ist geradeso wie damals, als ich so 'n kleiner Junge war!" sagte Suhr 
und zeigte ein unwahrscheinlich kleines Maß mit der Hand. „Seit meine 
Mutter starb, hab' ich keinen Weihnachtsbaum wiedergesehen." „Wir 
hatten auch einen zu Hans'," brummte Johann Kasperson; „und dann 
las mein Vater die Geschichte von dem Jesuskinde in Bethlehem. — 
Kap'tän, haben Sie das Buch nicht?" Ich nahm meine Bibel vom 
Büchergestell herunter, schlug auf und las: „Es begab sich aber zu der 
Zeit, daß ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging-" „Jawohl, 
so fing's an!" warf Kasperson mit tiefer Stimme ein. Suhr gab ihm 
einen Stoß. „Mensch, halt dich ruhig!" rannte er ihm zu. Ich las 
weiter und zu Ende bis zu den Worten: „Ehre sei Gott in der Höhe 
und Friede auf Erden-" „Und den Menschen ein Wohlgefallen. 
Amen!" ergänzte Kasperson laut. „Ja, ich kann mich dessen noch er¬ 
innern." Und der alte, wetterharte Bursche sah ganz still und ernsthaft 
in die niederbrennenden Lichtchen. Es war eine feierliche Stimmung über 
die kleine, weltverlassene Schifssgemeinde gekommen, die hier auf weiter, 
winterlicher See nach ihrer Art Weihnachten machte. 
Nun verlosch ein Stümpfchen nach dem andern. „Kap'tän, geben 
Sie nicht einen kleinen Extragrog aus?" brach Kasperson das Schweigen. 
„Mensch, schämst du dich gar nicht?" suchte ihn Suhr zur guten Sitte 
zurückzuführen. „Ja, was ist dabei?" murrte er. Ich beruhigte ihn 
durch die Zusage des gewünschten Labetrunks und drückte jedem ein Bund 
'Zigarren in die Hand. Die Leute gingen. 
Ich blieb mit meinem Maat allein. Wir saßen uns gegenüber am 
Tisch. Keiner sagte etwas. In blauen Wolken zog der Ranch aus unsern 
Pfeifen durch den kleinen Raum. Draußen zogen die Eisschollen schur¬ 
rend an der Bordwand vorbei. Dann lange Stille; nur das Platschen 
und Klatschen der Seen, vor denen „Nr. 16" mäßig schlingerte. Von 
vorn klangen jetzt die Töne einer Harmonika zu uns her, eine ganz 
HirtS Lesebuch für Pommern. AuSg B. III. 8
	        
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