Full text: [Dritter Teil = (6. bis 8. Schuljahr)] (Dritter Teil = (6. bis 8. Schuljahr))

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,Sieht!4 sagte er mit trotziger Bestimmtheit, ,das Ärgste kommt noch. 
Was wißt Ihr davon, Peter! Das Haus wankt, die Warft ist zur Hälfte 
fortgeschlagen, die Stützen liegen bloß, die Wellen heben die Bretter zu 
unsern Füßen, unb nun seht dort hinaus! Seht Ihr den schwarzen Berg, 
der sich über das Meer ausdehnt wie ein Ungeheuer, das in die Wolken 
hinauf will? Das ist die hohe Flut, Peter! Sie rollt gegen uns auf, 
unb kein Leben kann ihr entkommen.4 
13. Als ich der Richtung seiner Hand folgte, stockte mein Blut vor 
Entsetzen. In der Ferne, wo Mondschein und Meer im Dämmerlicht 
verschmolzen, stieg ein dunkles, bewegliches Gebirge empor, das mit 
fürchterlicher Geschwindigkeit uns zu nahen schien. Es war die höchste 
Flutwelle, die der Sturm vor sich her trieb mtd sie zusammengeballt 
hatte gleich einem ungeheuern Keil, den er mit unwiderstehlicher Gewalt 
gegen alle Küsten unb Deiche schleuderte. Und ihm voraus höhlte sich 
die Tiefe vor seiner Macht und bildete ein schwarzes Tal, aus dem 
die Wogen sich aufbäumten, kämpfend gegeneinanderstürzten und zer¬ 
stäubten, um wieder zusammenzufließen und mit erhöhter Kraft auf uns 
zu fallen. Schmetternd schlugen sie gegen die Westseite des Hauses; die 
Sturzseen flogen über uns hin, die Bretter des Bodens wurden unter 
unsern Füßen aufgerissen, das Wasser quoll darunter hervor, der ganze 
Bau wankte und krachte, und mit dem Gefühl der Vernichtung schloß 
ich die Angen und umklammerte den Balken, an welchen ich mich gelehnt 
hatte. Aber es war nicht so; noch hielten die Bänder; nur an den Seiten 
waren die Pfähle fortgerissen, und westlich hatte sich das Dach schief 
herabgesenkt. Ans meiner Betäubuttg wurde ich durch Jensens Stimme 
geweckt, die das Gekreisch der Weiber übertönte, und als ich die Augen 
aufschlug, sah ich den kühnen Mann rasch über das sinkende Dach laufen. 
Sein Dienstmann folgte ihm, und beide waren geschäftig, die Schafe von 
den Sparren zu lösen, an die sie gebunden waren. In diesetn Augen¬ 
blicke schäumte der ungeheure Flutberg heran, und von Todesangst ge¬ 
trieben, floh ich gegen die feststehende Ostseite. Da lag die Frau auf 
ihren Knien, ihre beiden jüngsten Kinder fest an ihr Herz gedrückt, die 
Augen verzweiflungsvoll auf ihren Mann gerichtet. ,Zurück, Jens, zu¬ 
rück!4 schrie sie ihm zu, und getrieben von ihrer Angst, sprang sie auf 
und lief ihm entgegen. Ich wollte sie hindern und vermochte es nicht; 
ich wollte ihr zuschreien und wurde durch einen Schlag von ihrer Seite 
gerissen, wollte mich halten und konnte nichts ergreifen. Die Woge 
bäumte sich schwarz über uns und stürzte vernichtend nieder. Ein Fallen 
und Brausen mischte sich mit wildem Geschrei; ich verlor das Bewußtsein." 
Hier schwieg der alte Mann und setzte gemächlich seine erloschene
	        
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