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,Sieht!4 sagte er mit trotziger Bestimmtheit, ,das Ärgste kommt noch.
Was wißt Ihr davon, Peter! Das Haus wankt, die Warft ist zur Hälfte
fortgeschlagen, die Stützen liegen bloß, die Wellen heben die Bretter zu
unsern Füßen, unb nun seht dort hinaus! Seht Ihr den schwarzen Berg,
der sich über das Meer ausdehnt wie ein Ungeheuer, das in die Wolken
hinauf will? Das ist die hohe Flut, Peter! Sie rollt gegen uns auf,
unb kein Leben kann ihr entkommen.4
13. Als ich der Richtung seiner Hand folgte, stockte mein Blut vor
Entsetzen. In der Ferne, wo Mondschein und Meer im Dämmerlicht
verschmolzen, stieg ein dunkles, bewegliches Gebirge empor, das mit
fürchterlicher Geschwindigkeit uns zu nahen schien. Es war die höchste
Flutwelle, die der Sturm vor sich her trieb mtd sie zusammengeballt
hatte gleich einem ungeheuern Keil, den er mit unwiderstehlicher Gewalt
gegen alle Küsten unb Deiche schleuderte. Und ihm voraus höhlte sich
die Tiefe vor seiner Macht und bildete ein schwarzes Tal, aus dem
die Wogen sich aufbäumten, kämpfend gegeneinanderstürzten und zer¬
stäubten, um wieder zusammenzufließen und mit erhöhter Kraft auf uns
zu fallen. Schmetternd schlugen sie gegen die Westseite des Hauses; die
Sturzseen flogen über uns hin, die Bretter des Bodens wurden unter
unsern Füßen aufgerissen, das Wasser quoll darunter hervor, der ganze
Bau wankte und krachte, und mit dem Gefühl der Vernichtung schloß
ich die Angen und umklammerte den Balken, an welchen ich mich gelehnt
hatte. Aber es war nicht so; noch hielten die Bänder; nur an den Seiten
waren die Pfähle fortgerissen, und westlich hatte sich das Dach schief
herabgesenkt. Ans meiner Betäubuttg wurde ich durch Jensens Stimme
geweckt, die das Gekreisch der Weiber übertönte, und als ich die Augen
aufschlug, sah ich den kühnen Mann rasch über das sinkende Dach laufen.
Sein Dienstmann folgte ihm, und beide waren geschäftig, die Schafe von
den Sparren zu lösen, an die sie gebunden waren. In diesetn Augen¬
blicke schäumte der ungeheure Flutberg heran, und von Todesangst ge¬
trieben, floh ich gegen die feststehende Ostseite. Da lag die Frau auf
ihren Knien, ihre beiden jüngsten Kinder fest an ihr Herz gedrückt, die
Augen verzweiflungsvoll auf ihren Mann gerichtet. ,Zurück, Jens, zu¬
rück!4 schrie sie ihm zu, und getrieben von ihrer Angst, sprang sie auf
und lief ihm entgegen. Ich wollte sie hindern und vermochte es nicht;
ich wollte ihr zuschreien und wurde durch einen Schlag von ihrer Seite
gerissen, wollte mich halten und konnte nichts ergreifen. Die Woge
bäumte sich schwarz über uns und stürzte vernichtend nieder. Ein Fallen
und Brausen mischte sich mit wildem Geschrei; ich verlor das Bewußtsein."
Hier schwieg der alte Mann und setzte gemächlich seine erloschene