Full text: Erstes Lesebuch für die Mittelstufe (Teil 3, [Schülerband])

Mit siebenfacher Stimmen Schall 
Begrüßen, begucken, betasten all'. 
Der Gottesmann, drauf mildiglich 
85 Mit eignen Händen trägt er mich 
Nach feinem Zimmer, Stiegen auf, 
Nachpolieret der ganze Hanf'. 
Hier wohnt der Frieden auf der 
Schwell'! 
90 In den geweißten Wänden hell 
Sogleich empfing mich sondre Luft, 
Bücher- und Gelahrtenduft, 
Gerani- und Resedaschmack, 
Auch ein Rüchlein Rauchtabak. 
95 (Dies war mir all noch unbekannt.) 
Ein alter Ofen aber stand 
In der Ecke linker Hand. 
Recht als ein Turn tät er sich strecken 
Mit feinem Gipfel bis zur Decken, 
100 Mit Säulwerk, Blumwerk, kraus und 
spitz — 
O anmutsvoller Ruhesitz! 
Zuoberst auf dem kleinen Kranz 
Der Schmied mich auf ein Stünglein 
105 pstanzt'. 
Betrachtet mir das Werk genau! 
Mir deucht's ein ganzer Münsterbau; 
Mit Schildereien wohl geziert, 
Mit Reimen christlich ausstaffiert. 
110 Davon vernahm ich manches Wort, 
Dieweil der Ofen ein guter Hort 
Für Kind und Kegel und alte Leut', 
Zu plaudern, wann es wind't und 
schneit. 
115 Seit daß ich hier bin, dünket mir 
Die Winterszeit die schönste schier. 
Wie sanft ist aller Tage Fluß 
Bis zum geliebten Wochenfchluß! 
— Freitag zu Nacht, noch um die 
120 Neune, 
Bei feiner Lampen Trost alleine, 
Mein Herr fängt an fein Predigtlein 
Studieren; anders mag's nicht fein; 
Eine Weil' am Ofen brütend steht, 
Unruhig hin und dannen geht: 125 
Sein Text ihm schon die Adern 
reget; 
Drauf er sein Werk zu Faden schlüget. 
Jnmittelst einmal auch etwan 
Hat er ein Fenster aufgetan — 130 
Ah, Sternenlüftefchwall wie rein 
Mit Haufen dringet zu mir ein! 
Den Verrenberg ich schimmern seh', 
Den Schäferbühel dick mit Schnee! 
Zu schreiben endlich er sich setzet, 135 
Ein Blättlein nimmt, die Feder netzet, 
Zeichnet sein Alpha und sein O 
Über dem Exordio. 
Und ich von meinem Postament 
Kein Aug' ab meinem Herrlein wend'; 140 
Seh', wie er mit Blicken steif ins Licht 
Sinnt, prüfet jedes Worts Gewicht, 
Einmal sacht eine Prise greifet, 
Vom Docht den roten Butzen streifet; 
Auch dann und wann zieht er vor sich 145 
Ein Sprüchlein an vernehmentlich, 
So ich mit vorgerecktem Kopf 
Begierlich bringe gleich zu Kropf. 
Indes der Wächter elfe schreit. 
Mein Herr denkt: Es ist Schlafenszeit, 150 
Ruckt seinen Stuhl und nimmt das 
Licht; 
„Gut Nacht, Herr Pfarr!" — Er 
hört es nicht. 
Im Finstern wär' ich denn allein. 155 
Das ist mir eben keine Pein. 
Ich hör' in der Registratur 
Erst eine Weil' die Totenuhr, 
Lache den Marder heimlich aus, 
Der scharrt sich müd' am Hühnerhaus; 160 
Windweben um das Dächlein stieben; 
Ich höre wie im Wald da drüben — 
Man heißet es ,Jm Vogeltrosll — 
Der grimmig Winter sich erbost, 
Ein Eichlein spalt't jähling mitKnallen, 165 
Eine Buche, daß die Täler schallen.
	        
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