Full text: Erstes Lesebuch für die Mittelstufe (Teil 3, [Schülerband])

46 B. Pflichten gegen Gott und den Nachsten. 
58. Eine schöne Geschichte von einem Hirtenknaben, der durch 
seine Höflichkeit zu hohen Ehren gelangt ist. 
Bei einem Dorfe in der Markgrafschaft Ankona lebten zwei arme 
Bauersleute, die hatten einen Sohn, der hieß Felix. Dieser Knabe hatte 
zwar einen guten Verstand, weil er aber sehr arm war, mußte er die 
Schweine im Felde hüten. 
Felix wurde von seinen Eltern immer angehalten, gegen jedermann 
gefällig, zuvorkommend und freundlich zu sein. Die andern Knaben im 
Dorfe verachteten aber den Schweinehirten und waren grob. 
Als Felix eines Tages seine Herde hütete, kam des Weges ein Bar— 
füßermönch, der durch den Wald einen Wegweiser begehrte. Weil es aber 
schlechtes Wetter war, so sagten die andern Knaben mit ihrer gewöhnlichen 
Grobheit: „Nein, ich gehe nicht!“ Da sprang Felix hervor, grüßte 
freundlich und bot sich zum Wegweiser an. 
Da der Mönch unterwegs aus den klugen Antworten des Knaben 
einen guten Verstand erkannte, führte er ihn mit sich in sein Kloster und 
nahm ihn mit Bewilligung seiner Eltern in seinen Orden auf. 
Felix studierte fleißig, und obgleich er bald einer der gelehrtesten 
von allen Mönchen wurde, erhob er sich doch nicht mit Stolz, sondern 
blieb demütig, höflich und dienstfertig. Dies machte, daß ihn alle, 
die ihn kannten, lieb gewannen, und so wurde er zu einer Ehren— 
stelle nach der andern erwählt, bis er sogar Bischof und zuletzt Kardinal 
wurde. Endlich, da der Papst starb, wurde er einhellig am 24. April 
1585 zum Papste erwählt in Rom. Und er hat unter dem Namen 
Sixtus V. mit großem Ruhme regiert. 
Diese Geschichte lehrt, wie oft ein kleiner Umstand unser Glück machen 
kann, und wie die Höflichkeit das erste Mittel ist, sich unter den Menschen 
beliebt zu machen. Aus Vrenuß u. Vetter.“ 
59. Der bettelnde Handwerksbursche in Anklam. 
Im August des Jahres 1804 stand in der Stadt Anklam in 
Pommern ein reisender Handwerksbursche an einer Stubentür und bat 
um einen Zehrpfennig. Als sich niemand sehen ließ, öffnete er leise die 
Tür und ging hinein. Als er aber eine arme und kranke Witwe 
erblickte, die da sagte, sie habe selber nichts, so ging er wieder hinaus. 
Nach ungefähr fünf Stunden kam der Handwerksbursche wieder. 
Die Frau rief ihm zwar entgegen: „Mein Gott, ich kann Euch ja nichts 
geben! Ich selbst lebe von andrer Menschen Milde und bin jetzt krank.“ 
Allein der edle Jüngling dachte bei sich selber: Eben deswegen. An— 
ständig und freundlich trat er bis vor den Tisch, legte aus beiden Taschen
	        
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