14 P. Aus der deutschen Heimat.
türmt sich besonders der langgestreckte nördliche Gebirgszug vor unsern
Blicken auf. An den untern Gehängen trägt er dunkle Nadelwälder,
durch welche silberglänzende Bäche rauschen. In höhern Gebieten bleibt
der Wald zurück, und die Krummholzkiefer überzieht die steilen Wände.
Auf den höchsten Rücken verläßt uns auch diese, und nackte Felsentrümmer,
weiche Moorlager und kurze Gebirgsgräser treten auf. Wir wandern
auf dem breiten Kamme hin, um uns der Hochwelt des Gebirges zu
erfreuen. Reine Bergluft umspielt unsre Brust mit kühlenden Wellen.
Zu unsern Füßen strahlt der rote Stern der Bergprimel zwischen flechten⸗
behangenen Felsen uns entgegen. Die blaue Glocke des Enzians blickt
aus Rasenpolstern auf, und eine Schneelerche klagt mit eintönigem Ge—
zwitscher auf felsigem Gesteine. Da öffnen sich gewaltige Klüfte in dem
kahlen Felsenleibe und bergen mitten im Sommer Schneemassen in der
sonnenlosen Grube. („Schneegruben.“) Wir übersteigen die Felsen—
lrümmer des „hohen Rades“, um von dem Rücken des Gebirges rechts
in tiefe Gründe zu blicken, in denen sieben Wasser rauschen („ieben
Gründe“), und links in ein fruchtbares Tal am Fuße des Gebirges zu
schauen, aus dem Städte und Dörfer mit ihrer Lebensfülle herauf zu
dem Reiche der Felsen grüßen. In gewaltigen Blöcken sind diese zu
hohen Kanzeln und Türmen aufgerichtet, von denen aus Rübezahl, der
Herr des Gebirges, nächtlich zu den Elfen redet. („Mittagsstein.“) Da
aͤeibt der neckische Berggeist auch schon die Wolken um unsre Stirn,
ind der Wind hüllt die höchsten Kuppen in graue Schleier ein. („Große
und kleine Sturmhaube.““ Kaum sind die Wolkenhauben wieder von
den Felsenköpfen weggezogen, so erschließen sich unserm Auge an den
Steilgehängen des Gebirges tiefe Trichter, die — wie die Schneegruben —
einst von Gletschern ausgeschliffen wurden und jetzt eisige Fluten
dunkeln Wassers umschließen. Aus dem Gebirgsteiche („großer Teich“)
springt und schäumt ein Abfluß in felsigen Schründen nach den Tiefen.
Das Geläute der Glocken einer buntscheckigen Rinderherde klingt melodisch
zu uns herauf, und der Ruf der Hirten weckt das Echo in den Bergen.
Er treibt die Herde nach der „Baude“, die sich als einfaches Holzhaus
auf geneigtem Wiesenplane erhebt und mit ihrem tief herabreichenden
Schindeldache Stall, Wohnung und Heuboden deckt. Da sind wir auch
schon an den Fuß der Schneekoppe (1605 m) gekommen, deren Haupt
sich trümmerbesät am höchsten auf dem Rücken des Gebirges erhebt.
Lichtumflossen ragt sie vor uns auf, während sich der Abendschatten schon
aufs Gebirge legt und graue Nebel aus den Tälern wallen. Endlich
seitet die Nacht auch über die „Koppenbaude“ ihre dunkeln Flügel aus,
und wir schließen die Augen unter schützendem Dache, über dem der
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