Lenz: Der Bär. 139
von der Herde entfernt hat, oder er wartet, bis die Hirten weggegangen
sind, — was nur zu oft geschieht — und springt dann mutig in die
Herde und jagt sie so lange herum, bis er ein Stück Vieh erhascht
oder doch in einen Abgrund gestürzt hat, und das fällt leicht vor, da
die Tiere im Schrecken nicht wissen, wo sie hinlaufen. Befinden sich aber
Ziegen in der Alp, welche in der Nacht nicht eingeschlossen werden
Und sich meistens um die Hütten herumlagern, so schleicht der Bär in
aller Stille daher und trachtet zwischen sie und die Hütten zu kommen,
treibt sie alsdann vor sich her, so daß er immer eine oder zwei von
ihnen erhascht; denn in der Nacht und im Schrecken wissen die armen
Vere sich nicht zurechtzufinden. Merken ihn aber diese Vere bei
Zeiten, so fliehen sie auf die Dächer der Hütten, und die Apknechte
erraten leicht, wer sie heimsucht und eilen, ihn wegzujagen. Die Art,
wie der Bär ein Stück Rindvieh anfällt, beweist auch seine Vorsichtigkeit.
Selten packt er es vorne an, oder es müßte ein sehr schlechtes Aus⸗
sehen haben, meistens springt er ihm von hinten auf den Rücken und
schlägt ihm seine Klauen fingersdick in demselben ein, so daß das
Ner in kurzer Zeit entkräftet zu Boden fällt. Dünkt es ihn aber gar
zu stark, so ermüdet er es zuerst mit Herumjagen oder zwingt es in
Anen gefährlichen Paß, wo es sich entweder tot oder wund fällt, und
springt jetzt auf dasselbe. Darauf zerreißt er es, frißt zuerst das
Euter und alsdann die Nieren. Kann er es mit Muße genießen,
so frißt er sich darin satt und vergräbt den Rest in der Erde für ein
andermal. Wird er aber daran gestört, so frißt er, was er kann, und
trägt, was er mag, davon. Gemeiniglich versammeln sich, wenn er ein
Stuͤck Vieh aus der Herde genommen und zerrissen hat, die übrigen
Kühe nach erholtem Schrecken nahe um ihn und sehen ihm zu, schnauben
und brüllen, als wenn sie Lust hätten, die Mordthat zu rächen, und
es ist selten oder nie geschehen, daß ein Bär sich unterstanden hätte,
sie zum zweitenmal anzugreifen. Aber sonderbar ist es, daß er mitunter
mitlen unter die Herde kommt, daß er ganz nahe an dem Viehe und
bei den Hütten herumgeht, ja mitten aus der Herde ein Stück Vieh
wegnimmt und verzehrt, ohne daß sie ihn merken, noch sich im geringsten
bewegen, und dies zeschieht sehr oft, besonders bei lange anhaltendem
Regen und bei tiefem und dickem Nebel. Vielleicht hat das Vieh alsdann
keinen Geruch.
Den Schafen stellt er ebenso nach wie dem übrigen Viehe, ja
er liest sie, wenn fie mit demselben weiden, gerne vorzüglicher Weise
heraus. Auch packt er in großem Hunger Pferde an; doch da sich die—
felben, wenn sie ein wenig wohl daran sind, mutig wehren, so läßt
er sie eher als andres Vieh ungeschoren. Furcht oder Mißtrauen hat
er am meisten vor dem Menschen, und nur wenn er verwundet ist
oder Junge hat, wehrt er sich gegen denselben. Allein auch hier muß
man einen Unterschied zwischen beiden Arten machen. Die schwarze
fürchtet den Menschen wirklich und läßt sich oft durch ein Kind mit
Geschrei und Steinen verjagen, ja, sie läßt sogar mitunter ihren Raub
fahren, wie einige Beispiele beweisen. Die rote hingegen scheut sich
lur vor den Waffen des Menschen, und ob sie ihn gleich auch unbe—