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89. Die deutsche Flotte.
1. Gewaltig ist der Aufschwung, den Handel und Verkehr in unserm
Vaterlande seit der Gründung des Reiches genommen haben. In dem letzten
Jahrzehnt allein hat sich der deutsche Gesamthandel auf das Doppelte gesteigert.
Der Handelsumsatz über unsre Grenzen hinaus beziffert sich jährlich auf
10000 Millionen Mark, und non dieser gewaltigen Summe fallen fast drei
Viertel der überseeischen Ein- und Ausfuhr zu. Cs gibt kaum ein fremdes
Gebiet, an dessen Häfen nicht deutsche Schiffe Frachten abgeben oder auf¬
nehmen, an dessen Küsten nicht deutsche Handelshäuser unter dem Schutze der
deutschen Flagge ihre Geschäfte betreiben. Und wie der Güteraustausch mit
den fernsten Erdteilen stetig gewachsen ist und die deutsche Erwerbskraft über
das Weltmeer hinausgedrängt hat, so ist auch beim Menschen das Bedürfnis
zu reisen, fremde Erdteile aufzusuchen, seine Kenntnisse zu bereichern und sich
neue Erwerbsquellen zu sichern, gestiegen.
2. Ein solch umfassender Handels- und Reiseverkehr, wie er sich an den
deutschen Häfen abspielt, kann naturgemäß nur durch eine hoch entwickelte
Handelsschiffahrt vermittelt werden. Während noch vor fünfzig Jahren die
deutsche Handelsmarine eine sehr untergeordnete Rolle auf dem Weltmarkt
spielte und sich fast nur auf den Nord- und Ostseeverkehr und den Handel
mit England beschränkte, besitzt Deutschland heute die zweitgrößte Handels¬
flotte der Welt. Unter deutscher Flagge segeln zudem seit Jahren die größten
und schnellsten Dampfer der Erde. Den Triumph deutschen Unternehmungs¬
geistes und deutscher Schiffsbaukuust bilden die Schnelldampfer „Kaiser
Wilhelm der Große", „Deutschland" und „Kaiser Wilhelm II.", die
ihren stolzen Namen alle Ehre machen. Jeder dieser Schiffsriesen vermag über
14000 Tonnen Schwergewicht (etwa den Inhalt von 1400 Doppelwaggons)
aufzunehmen; außerdem ist noch Platz für 2000 Personen. Rechnet man
40 Doppelwaggons auf einen Eisenbahnzug, so findet der Inhalt von 35
solchen Zügen in dem Riesenleibe jedes dieser Ozeandampfer Raum. Die Pracht
der inneren Wohnräume übertrifft alles Dagewesene. Die Geschwindigkeit
betrügt über 23 Seemeilen in der Stunde, und trotz der ungeheuern Kräfte,
die das Schiff durch die Fluten treiben, schwimmt es mit stolzer Ruhe und
Gleichmäßigkeit dahin.
3. Einzelne Reeder sind nicht imstande, den Verkehr der großen Dampfer
auf eigene Rechnung zu betreiben; es bildeten sich im Laufe der Jahre Ver¬
einigungen, die auf gemeinsame Rechnung die Herstellung der Schiffe, die Be¬
förderung der Personen, der'Post und der Frachtgüter übernahmen. Deutschland
darf wiederum stolz darauf sein, die größten Reedereien der Welt zu besitzen.