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2. Eines Tages traten zwei Bostoner Bürger, die eine selbsterfundene
Strickmaschine nicht in Gang bringen konnten, in die Werkstatt seines Meisters,
um sich bei ihm Rat zn holen. Bei der Besichtigung des verfehlten Werkes
entstand in Howe sofort der Gedanke, eine Nähmaschine herzustellen. Tag
und Nacht hing er dem Gedanken nach, schlenderte bei den Schneidern umher
und sah immer wieder dem Hergange des Nähens mit einer Aufmerksamkeit
zn, daß die Leute an seinem Verstände zu zweifeln begannen. Sie lachten
laut aus, wenn er seufzend die Haufen zugeschnittener Tuchstreifen betrachtete,
die sämtlich ein und desselben Stiches bedurften, um sie zu Kleidern zu¬
sammenzufügen, und wenn er klagte, daß eine so einfache, so wenig Kraft¬
aufwand fordernde Arbeit nicht von einer Maschine bewerkstelligt werden könne.
3. So vergingen Jahre. Howe hatte ein eigenes Geschäft eröffnet, aber
es wollte nicht vorwärts. Sorgenvoll saß er auf seinem elenden Dachstübchen
und wußte oft nicht, wie er für seine hungernde Familie Brot schaffen sollte.
Unablässig aber brütete er über seiner Maschine und mußte gar manchmal
von seinen Bekannten, ja selbst von seiner Frau den Vorwurf hören, daß er
wohl Besseres tun könne, als unaufhörlich Hirngespinsten nachzuhängen, bei
denen doch nie etwas herauskommen werde.
4. Nach jahrelangen, fruchtlosen Versuchen kam ihm der Gedanke, ob es
denn auch notwendig sei, daß die Maschine die Tätigkeit der menschlichen
Hand nachahme, ob denn nicht ein andrer Stich möglich sei. Er nahm nun
zwei Fäden und machte den Stich mittels einer gebogenen Nadel mit dem
Öhr an der Spitze und mittels eines Webeschiffchens. Sofort wußte er, daß
er nun erreicht hatte, was so lange all sein Denken und Sinnen gewesen war.
Im Oktober 1844 konnte er durch ein rohes Modell von Holz und Draht
sich überzeugen, daß die von ihm erfundene Maschine wirklich nähte. Im
Winter 1844/45 arbeitete Howe, nachdem er einen ehemaligen Mitschüler,
Georg Fischer, der einen Kohlenhandel betrieb, für seine Gedanken gewonnen
hatte, an der Herstellung einer Maschine aus Stahl, und im Jahre 1845
gingen sämtliche Nähte zweier vollständiger Anzüge aus seiner Maschine hervor.
Diese erste Nähmaschine ist noch in New Nork zu sehen, und alle Sach¬
kenner gestehen zu, daß kein andrer Erfinder jemals mit dem ersten Versuch
den Grundgedanken seiner Erfindung so vollkommen und praktisch verwirklicht
hat wie Howe. Es ist ein kleines Ding, diese erste Nähmaschine. Sie hat
seitdem eine Menge von Veränderungen und Verbesserungen erfahren; aber es
ist keine der zahlreichen Nachahmungen — es gibt heute gegen 700 Systeme —,
die nicht im wesentlichen auf Howes erster Maschine beruht.
5. Die Nähmaschine war erfunden, aber Howes Leidensgeschichte begann
erst. Er wanderte mit seiner Maschine von einem Schneider zum andern;
aber keiner war zu bewegen, ein Kleidungsstück damit zn nähen; sie fürchteten