Full text: [Teil 3 = (6. bis 8. Schuljahr)] (Teil 3 = (6. bis 8. Schuljahr))

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2. Eines Tages hatte ich Gelegenheit, mir auch einmal die schon ge¬ 
nannte große Bürstenfabrik anzusehen. Der Geschäftsherr war zwar nicht 
zu Hanse; aber der Werkführer hatte die Freundlichkeit, mir den Betrieb zu 
zeigen. Zuerst führte er mich in die Tischlerei, da wurde die ganze Holz¬ 
arbeit besorgt. Die Leute, die dort beschäftigt wurden, waren gelernte 
Tischler, die mit der Bearbeitung des Holzes gründlich vertraut waren. Sie 
besaßen, nachdem sie sich jahrelang der Bürstenfabrikation allein zugewandt 
hatten, einen ganz besondern Grad der Fertigkeit in diesem Arbeitszweige. 
Ans der Tischlerei wanderte die Ware zur Bohrmaschine, die mit Dampf 
getrieben und immer von denselben Arbeitern bedient wurde. Auch diese 
Leute hatten eine unübertreffliche Sicherheit in ihrer Arbeit erreicht. — 
Danach wurde ich in einen großen Arbeitsranm geführt, wo Frauen und 
Mädchen die Borsten sortierten. Aus großen Haufen Rohware suchten sie die 
feinen und groben, die weißen und schwarzen Haare heraus und legten die 
gleichartigen in Häufchen vor sich auf die Tische. Von da wanderten die Borsten 
weiter, um in andre, noch genauere Unterabteilungen, im ganzen wohl zwanzig 
an der Zahl, zerlegt zu werden. Die letztere Arbeit wurde ebenfalls von 
weiblichen Arbeitern ausgeführt; denn besondere Kräfte gehören ja nicht dazu, 
wohl aber flinke Hände und scharfe Augen, und die haben die Frauen. Der 
nächste Raum, in den ich geführt ward, war die eigentliche Bürstenbinderei; 
hier wurden die Borsten eingesetzt. Aber auch hier machte nicht jeder Arbeiter 
alle vorkommenden Bürstensorten. Es waren Abteilungen gebildet für die 
groben, mittleren, feinen und feinsten Sorten, und jeder Abteilung waren 
die dafür besonders geschickten Arbeiter zugewiesen. Diese bleiben meistens 
dauernd in ihrer Abteilung, und nur, wenu mau merkt, daß ein Arbeiter an 
Geschicklichkeit gewinnt oder verliert, versetzt man ihn klugerweise in eine andre. 
Aber auch in der Binderei wurden die meisten Bürsten noch nicht ganz 
fertig; ein großer Teil ging noch einmal zurück in die Tischlerei, damit dort 
das Oberblatt aufgeleimt und verschraubt und die Politur vervollständigt wurde. 
3. Als ich meinen nächsten Besuch bei deni alten Bürstenbinder machte, 
schilderte ich ihm das Gesehene. „Es ist kein Wunder," sagte er nach¬ 
denklich, „daß ich mit denen nicht mehr fortkommen kann. Solch eine 
geschickte Arbeitsteilung ist in der Handwerkstatt gar nicht ausführbar, weil 
der Handwerker so viel Auswahl unter der kleinen Zahl seiner Gehilfen 
nicht treffen kann. Wir müssen eben alle Arbeit machen, die vorkommt, und 
deshalb geht sie nicht so schnell vonstatten. Ich glaube wohl nicht, daß 
meine Bürsten schlechter sind als die von der Fabrik; aber sie kommen mich 
selbst teurer, und da ich sie zu gleichen Preisen verkaufen muß, verdiene ich 
weniger daran als der große Fabrikant." 
H. Mahraun. (Volkswirtschaftliches Lesebuch.)
	        
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