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6. Ich glaube, ich hatte mich während der letzten Stunde kaum mehr
gerührt und deshalb auch manche der Schreckensszenen, die sich ringsum
abspielten, nicht gesehen. Der nimmer schweigende Kanonendonner tat
meinen Nerven weh. Als das lange andauernde Hurrageschrei der Mann¬
schaft bis zu uns herabdrang, da hatten wir Verwundeten geglaubt, daß
der Sieg schon unser sei, und der Ruf hatte hier unten ein wenn auch
nur sehr schwaches Echo gefunden.
Und nun ging das Geknalle von neuem los! Es war nicht die Ge¬
fahr, sondern der wüste Lärm, den man hier unten auf dem Verband¬
plätze so unangenehm empfand.
Endlich schien das feindliche Feuer schwächer zu werden. Nur noch
in minutenlangen Parken erdröhnten die furchtbaren Donnerschläge der
riesigen Geschütze der Chinesen.
Dann schrien sie oben wieder: „Hurra!" Unser Landungskorps hatte
das Nordfort besetzt, und deutsche Kanoniere feuerten mit chinesischen Ge¬
schützen, die jetzt auf das Südfort gerichtet waren. Hei! Wie die schossen!
Sie hatten mit den ersten Schüssen gleich das große Pulvermagazin
des Südforts in die Luft gesprengt. Unter den: brausenden Beifalls¬
geschrei der Kameraden auf den andern Kriegsschiffen steigerte der Iltis
jetzt sein Feuer mit geradezu fieberhafter Tätigkeit. Diese letzter! Minuten
waren uns Verwundeten eine Höllenqual. Den Chinesen aber auch!
Ihre Kanonen schwiegen eine nach der andern, während Kapitän Pohl
mit dem Landungskorps von dem Nordfort in Booten übersetzte und das
Südfort im Sturme nahm. Die Chinesen sah man über die Wälle in
wilder Flucht landeinwärts eilen, von dem nimmer ermüdenden Schnell¬
feuer des Iltis begleitet. Bald aber — die Chinesen liefen sehr schnell —
konnten selbst die großen Geschütze des Iltis die Fliehenden nicht mehr
erreichen, und jetzt sanken die Arme, die die ganze Nacht unermüdlich ge¬
wesen, ermattet nieder.
7. Ein heller, sonniger, lichter Sonntag war angebrochen; um 6 Uhr
50 Minuten fiel der letzte Schuß. Ringsum auf den schweigenden Forts
wehten die Flaggen der Sieger; von zweien grüßten uns die deutschen
Farben. Wir hatten gesiegt; volle sechs Stunden waren nötig gewesen,
den überlegenen und tapfern Gegner niederzukämpfen. Welche Freude,
gesiegt zu haben! Aber ein bitterer Tropfen mischte sich in diese Freude.
Da lagen unsre verwundeten Kameraden, die zunächst der Pflege und Sorge
bedurften; bei der großen Zahl waren sie nur notdürftig verbunden worden.
Vier Schwer- und zehn Leichtverwundete bedurften sorgsamer Wartung.
Und dann die Toten! Sieben Tote beklagten wir, sieben liebe
Karneraden, die seit anderthalb Jahren fern der Heinrat auf dein kleinen