Full text: [Teil 3 = Sechstes - Achtes Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 3 = Sechstes - Achtes Schuljahr, [Schülerband])

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feite des letzten Wagens schrumpfte zusammen. Nur ein Lichtlein da¬ 
von sah man noch eine Weile, dann war alles verschwunden; bloß der 
Boden dröhnte, und aus dem Loche stieg still und träge der Rauch. 
Mein Pate wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Angesicht 
und starrte in den Tunnel. Dann sah er mich an und fragte: „Hast du's 
auch gesehen, Bub?" — „Ich hab's auch gesehen." — „So kann's 
kein Blendwerk gewesen sein," murmelte der Jochem. Wir gingen auf 
der Fahrstraße den Berg hinan; wir sahen aus mehreren Schächten 
Rauch hervorsteigen. Tief unter unsern Füßen im Berge ging der 
Dampfwagen. „Die sind hin!" sagte mein Pute und meinte die 
Eisenbahnreisenden; „die übermütigen Leut sind selber ins Grab 
gesprungen!" 
Beim Gasthaus auf dem Semmering war es völlig still. Die 
großen Stallungen waren leer; die Tische in den Gastzimmern, die 
Pferdetröge an der Straße waren unbesetzt. Der Wirt, sonst der stolze 
Beherrscher dieser Straße, lud uns höflich zu einem Imbiß ein. „Mir 
ist aller Appetit vergangen," antwortete mein Pate; „gescheite Leute 
essen nicht viel, und ich bin heute um ein Stücke! gescheiter worden." 
Bei dem Denkmal Karls VI. standen wir still und sahen ins Österreicher 
Land hinaus, das mit seinen Felsen und Schluchten und seiner unab¬ 
sehbaren Ebene vor uns ausgebreitet lag. Und als wir dann abwärts 
stiegen, sahen wir drüben in den wilden Schroffwänden unsern Eisen¬ 
bahnzug gehen, klein wie eine Raupe, und über hohe Brücken, fürchter¬ 
liche Abgründe setzen, an schwindelnden Hängen gleiten, bei einem 
Loch hinein, beim andern heraus, ganz verwunderlich. 
„'s ist auf der Welt ungleich, was heutzutag die Leut treiben," 
murmelte mein Pate. — „Sie tun mit der Weltkugel Kegel schieben," 
sagte ein eben vorübergehender Handwerksbursche. 
Als wir nach Mariaschutz kamen, war es schon dunkel. Wir 
gingen in die Kirche, wo das rote Lämpchen brannte, und beteten. 
Dann genossen wir beim Wirt ein kleines Nachtmahl und gingen auf 
den Heuboden, um zu schlafen. Wir lagen schon eine Weile. Ich 
konnte unter der Last der Eindrücke und unter der Stimmung des 
Fremdseins kein Auge schließen, vermutete jedoch, daß der Pate 
bereits süß schlummere; da tat dieser plötzlich den Mund auf und 
sagte: „Schläfst schon, Bub?" „Nein," antwortete ich. 
„'s ist eine Dummheit," sagte er. „Was meinst, Bübel, weil wir 
schon so nah dabei sind, probieren wir's?" 
Da ich ihn nicht verstand, so gab ich keine Antwort.
	        
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