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60. Fürbitte.
Gedenke, daß du Schuldner bist
der Armen, die nichts haben
und deren Recht gleich deinem ist
an allen Erdengaben!
Wenn jemals noch zu dir des Lebens
gesegnet goldne Ströme gehn,
laß nicht auf deinen Tisch vergebens
den Hungrigen durchs Fenster sehn!
Verscheuche nicht die wilde Taube!
Laß hinter dir noch Ähren stehn
und nimm dem Weinstock nicht die letzte Traube!
Hermann Lingg.
61. Sprüche.
1. Nur wer das Leiden kennt,
kennt auch ein heiß Erbarmen.
Wer selbst gedarbt, der gibt;
großmütig sind die Armen. Marie v. Ebner-Eschenbach.
2. Wenn du gibst, gib ungesehn,
ganz dem Freund und mild dem Armen;
tu's aus innigem Erbarmen
und vergiß es, wenrüs geschehn.
3. Was du Gutes tust, schreib in Sand,
was du empfängst, in Marmorwand.
4. Wehe dem, der zu sterben geht
und keinem Liebe geschenkt hat,
dem Becher, der zu Scherben geht
und keinen Durstigen getränkt hat!
62. Unser Frühstück.
Sagt einmal, Kinder, habt ihr wohl eine Ahnung davon, wie
viel Menschen arbeiten müssen, bloß damit morgens euer Frühstück
auf dem Tische steht, und in wie viel Erdteile ihr gehen müßtet, um
ihnen die Hand zu drücken und dafür zu danken? Da ist zuerst der
Kaffee. Woher kommt er? Meist aus Brasilien, vielleicht auch aus
Java oder Arabien. Stellt euch einmal vor, durch wie viel Hände
er geht, bevor er, vom Kaffeestrauch gepflückt, übers Meer gebracht,
Emanuel Geibcl.
Wolfgang Goethe.
Friedrich Rückert.