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gebrannt und gemahlen, endlich dampfend auf eurem Tische steht.
Das Korn eures Brotes ist vielleicht auf den Ebenen Rußlands oder
in Amerika gewachsen und von Menschen gemäht und gedroschen,
deren Sprache ihr gar nicht versteht. Ist es gedroschen, dann be¬
kommtes der Müller und dann der Bäcker, der die halbe Nacht daran
arbeitet, um euch warmes Gebäck zum Frühstück herzustellen. Wenn
ihr noch im warmen Bett liegt, klingelt's draußen; und wenn das
Mädchen endlich aufmacht, steht ein Korb mit Brot vor der Tür,
und der Bäckerjunge ist auf der Treppe eingenickt. Dann denkt daran,
wie viel Menschen nötig sind, um euren Zucker zu bereiten, entweder
aus der Rübe oder aus dem Zuckerrohr. Milch und Butter haben
auch schon viele Hände in Bewegung gesetzt, bevor sie endlich zu euch
kommen; und wenn ich nun erst anfangen wollte zu fragen, wer die
Tassen, die Teller und Löffel gearbeitet, wer die Kohlen gehackt
und gefahren, die euch das Zimmer wärmen, wer den Tisch und die
Stühle gemacht und woher er wieder das Holz und das Rohr und
den Lack bezogen hat, wie viel Hände gehämmert und geklopft haben,
um euer Haus zu bauen, und wie viel Köpfe darüber nachgedacht haben,
— wahrhaftig, es käme eine unabsehbare Menschenmenge zusammen,
die euch bei eurem Frühstück zusähe. Und wenn nun gar alle die aus
den Gräbern aufstünden, welche die Werkzeuge und Maschinen er¬
funden haben, mit denen sich heute unsere Versorgung so leicht und
reichlich bewirken läßt, — es wäre auf der ganzen Erde nicht Platz.
Und das alles bloß wegen des Frühstücks; denn von den andern
Mahlzeiten und von der Kleidung wage ich gar nicht einmal zu
reden.
Sagt einmal ganz offen: Habt ihr wohl morgens beim Kaffee¬
trinken schon jemals daran gedacht? Oder habt ihr bloß geschlürft
und gedacht: „Ei, schmeckt das gut?" Wißt ihr auch, daß solch ge¬
dankenloses Essen noch viel gefährlicher ist für den Menschen als das
schnelle Hinunterschlingen der Speisen? Man gewöhnt sich nämlich
dadurch überhaupt daran, zu vergessen, wie sehr ein jeder abhängt
von seinen Mitmenschen und wie all unser äußeres Glück und Be¬
hagen und die Sicherheit unseres täglichen Lebens ein Geschenk der
gemeinschaftlichen Arbeit von Tausenden von Seelen und Händen ist.
Wer das aber vergißt oder wem das überhaupt niemals deutlich wird,
der wird sich dann im Leber: so aufführen, als ob er allein da sei,
und überall die Menschen so behandeln, daß sie Lust und Freude
daran verlieren, für ihn zu arbeiten. Friedrich Wilhelm Förster.