Object: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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124. Goethe und Schiller 
schon gefaßt. Mit Götz von Berlichingen trat er zuerst hervor, und damit 
beginnt sein reiches Schaffen in immer vollendeteren Formen. Durch ihn 
wurden Weimar, wohin er nach kurzem Aufenthalte zu Wetzlar und Frank— 
furt 1775 auf wiederholte Einladung des jungen Fürstenpaares, Kärl 
August und Luise, ging, wo er des Herzogs vertrautester Freund und 
Lebensgenosse, sein Führer und bald auch sein erster Minister wurde, 
der Mittelpunkt des geistigen und literarischen Lebens Deutschlands. Dort 
schuf er, besonders nach seiner italienischen Reise 1786, jene Werke, welche 
Gegenstand der Bewunderung aller Zeiten und Völker sein werden, und 
waltete, seit 1794 den Lorbeerkranz freudig mit Schiller teilend, als der 
Altmeister deutscher Dichtung, geehrt und verherrlicht von seinem ganzen 
Volke und dessen Häuptern, bewundert vom Auslande, bis in die letzten 
Tage seines Greisenalters in vielseitiger und rastloser Geistesregsamkeit und 
Arbeit, auch darin glücklich, daß sein Tod (22. März 1832) rasch und 
schmerzlos war. 
2. Von allen deutschen Dichtern besitzt keiner so ganz und voll die Liebe 
aller Deutschen bis in die weitesten Fernen der Erde, als Johann 
Christoph Friedrich Schiller, geb. am 10. November 1759 in dem 
württembergischen Städtchen Marbach; denn keiner hat so wie er, mit dem 
Leben und um das Leben im Dienste der Kunst und Wissenschaft kämpfend, 
nicht bloß für diese, sondern auch für die Freiheit und Selbständigkeit 
unseres nationalen Lebens Siege errungen. Der Sohn eines strengen, 
ernsten Vaters, der damals im württembergischen Heere eine Hauptmanns⸗ 
stelle bekleidete, und einer frommen, sinnigen Mutter, zeigte er schon als 
Knabe einen strebsamen, hochfliegenden Sinn. Die reiche Welt der Ge— 
schichte, die Reise des Columbus, die Thaten Alexanders füllten seine 
junge, phantasiereiche Seele mit kühnen Plänen. Dabei hatte das wirkende, 
handelnde Leben, dem sich Goethe in seiner früheren Jugend entzog, für 
Schiller einen hohen Reiz, und gern wäre er frühe schon in einen tüchtigen 
Wirkungskreis eingetreten, hätten nicht beschränkte, enge Verhältnisse ihn 
gehemmt und genötigt, sich aus dem wirklichen Leben in das Reich der 
Ideale zu flüchten. Bei entschiedener Neigung für den geistlichen Stand 
mußte er diesem doch entsagen, um die ihm angebotene Freistelle in der 
von dem Herzoge Karl von Württemberg gegründeten Lehr- und Erziehungs⸗ 
anstalt zu erlangen, und er widmete sich nun der Rechtswissenschaft. Aber 
mit freiem Geiste und frohem Herzen konnte er sich nicht diesen Studien 
widmen; war doch sogar das Lesen der Werke deutscher Dichter den Karls— 
schülern verboten. Jedoch was nicht offen geschehen durfte, das that man 
heimlich; heimlich begeisterten sich Schiller und seine gleichgesinnten Freunde 
an Klopstock und an Goethes Götz und Werther, bewunderten Schubert, den 
Gefangenen auf Asperg, und ergötzten sich an den Helden des Altertums 
im Plutarch. Immer stärker regte sich auch in Schiller selbst der Drang 
zu dichterischem Schaffen, namentlich im Drama. In dieselbe Zeit, wo er
	        
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