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die kleinen Fäuste und schimpften, bis uns ein dunkles Tor ihren Blicken
entzog.
v Oran. Das Leben in der Garnison.
Von Marseille ging's nach Oran, dem dunkeln Erdteil entgegen.
Langsam setzte sich das Schiff in Bewegung. Majestätisch glitt es durch
das Hafentor in die offene See. Ich schaute unverwandt nach der Küste
Europas, bis auch das letzte Streifchen am Horizont entschwand.
Als am folgenden Morgen der feurige Sonnenball aus den schäu—
menden Fluten tauchte, lag Afrika mit seinen grauen, nackten Felsen vor
unsern Augen, und von einem felsigen Abhange her grüßte uns Oran,
die Hauptstadt einer der drei Provinzen, die das Reich Algier bilden.
Das sollte meine zweite Heimat sein. Mit Tagesanbruch schiffte man
uns aus. Wir betraten den Boden, den nur wenige von uns wieder
verlassen sollten. Die Stadt macht auf jeden Fremden einen bedeutenden
Eindruck. Wir wurden auf eine Festung geschickt, die von einem hohen
Berge stolz auf das Meer hinabschaut. Diese Festung heißt St. Gregor
und ist von Soldaten der Fremdenlegion besetzt. Des andern Tags wurden
wir gegen Abend auf den Bahnhof geführt; denn unser Reiseziel, Sidi—
Bell-Abbes, war noch 85 km von Oran entfernt. Abends neun 9 Uhr
langten wir dort an. Ein Unteroffizier brachte uns in die Kaserne.
Dort mußten wir die Reisepapiere abgeben und wurden in ein Buch
eingetragen. Am andern Morgen wurde uns der Kopf ganz kahl geschoren.
Dann trieb man uns wie eine Herde Schafe in das Badezimmer zur
Reinigung. Auch der letzte Rest europäischen Staubes wurde mit kaltem
Wasser gründlich von uns weggewaschen.
Wir wurden eingekleidet, und der regelmäßige Dienst nahm seinen
Anfang. Es ist für jeden Soldaten, der nicht Französisch sprechen kann,
eine schwere Aufgabe, die Kommandos in der Kaserne und beim Exer—
zieren nach Wunsch des Vorgesetzten auszuführen. Es regnet da Flüche
und Drohungen auf die Häupter der Rekruten. Das Exerzieren dauert 30
täglich 5 bis 6 Stunden. Von Mitte Juni bis Mitte September ist
von morgens 10 bis nachmittags um 2 Uhr Ruhezeit. Es soll während
dieser Zeit kein Dienst verrichtet werden mit Ausnahme des Wachtdienstes.
Die Dienstvorschriften werden jedoch sehr unregelmäßig und oft gar nicht
befolgt. Es kommt nicht selten vor, daß man am Mittag noch nicht weiß, 85
welchen Dienst man am Nachmittag hat. Von seiten der Bevölkerung
wird der Legionär sehr verächtlich behandelt. Es ist eine Unmöglichkeit
für den Koloniesoldaten, mit einer Familie in nähere Verbindung zu
treten. Diese Abgeschlossenheit vom Volke und die brutale Behandlung
gewissenloser Unteroffiziere in der Kaserne treiben viele Soldaten zur
Flucht. Nur in äußerst wenigen Fällen gelingt die Flucht. Jeder Flucht⸗
versuch wird hart bestraft. Wie oft habe ich vor dem Kerker der bestraften
Legionäre Posten gestanden! Die Armen schmachten in den sogenannten
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