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zu: „Wer will mich einzunehmen versuchen? Nur zweimal im
Laufe der Jahrhunderte haben die Franzosen mich besessen — durch
Überrumpelung und Verrat. Zuerst war's im Dreißigjährigen
Kriege; doch der tapfere Jan von Werth, ein Sohn des Rhein—
landes, hat mich befreit; er schloß mich samt den Feinden ein, hun—
gerte sie aus, gab ihnen ein teuer bezahltes Abschiedsmahl von
Mäusen, Esel- und Hundefleisch und ließ sie abziehen. Zum zweiten
Male besaßen mich die Franzosen in der unglücklichen Zeit der
Uneinigkeit, Zerbröcklung und Ohnmacht unsers Vaterlandes von
1794 bis 1814. Heute diene ich zum Schutze dem neuen Deutschen
Reiche, dessen ruhmreicher Gründer, ein Hohenzoller, mir gegenüber
auf dem Deutschen Eck hoch zu Rosse die Rheinwacht hält.“
Die Westerwaldhöhen rufen: „Hier erlagen zahlreiche Chri—
sten dem Hunnenschwerte, als Attila im Jahre 450 Deutschland und
Frankreich verheerend durchzog. Später drang der Sachsenherzog
Wittekind mit seinen Kriegern bis hierher gegen Karl den Großen
vor. Zur Zeit Heinrichs J. plünderten hier Ungarn, deren Haupt—
heer bei Worms über den Rhein setzte.“
Die Ebene der linken Rheinseite von Coblenz-Lützel bis Wei—
ßenthurm erzählt: „Hier loderten unter Karls des Dicken Regie—
rung die Verheerungsflammen der Normannen. Hier ordnete Ru—
dolf von Habsburg seine Streiter, als er gegen die Raubritter am
Rhein und an der Mosel zog. An meinem Südende, nahe am
Petersberge zu Coblenz-Lützel, steht das Grabmal des französischen
Feldherrn Marceau, der 1794 die Revolutionsarmee in die rheini—
schen Lande führte. Am Nordende meines Beckens, bei Weißen—
kthurm, erhebt sich das Denkmal des französischen Generals Hoche,
der 1796 die Gefilde um Neuwied mit französischem und deutschem
Blute tränkte. Tausende von Leichen wurden im Laufe der Zeiten
in meinen Feldern begraben, wo heute üppiges Getreide wächst.
Des Krieges Brandgluten haben weithin die Gegend gerötet, die
heute vom Lichte der Frühlingssonne bestrahlt wird.“
Zu schnell eilt Dampfer „Rheingold“ weiter. Schon naht er
dem Städtchen Andernach. Hier, wo die Andernacher Pforte das
Becken abschließt, wo der römische Feldherr Cäsar ungefähr im Jahre
50 v. Chr. eine Holzbrücke über den Rhein schlug, um in das innere
Deutschland vorzudringen, erwache ich aus meinen geschichtlichen
Träumen. Steile Berge im frischen Grün und das Farbenspiel im
Stromspiegel fesseln mein Auge. Bald legt der Dampfer in Rema—
sen an. Ich durcheile den Ort und suche nach dem Museum;
denn ich habe gehört, daß dort viele geschichtliche Denkmale aus den
frühesten Zeiten der Besiedlung der Rheinufer gesammelt sind.