183. Das Kamel.
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So war der Schlaue doch nicht sohlau genug! Er heult vor Wut;
aber es ist nicht Zeit zu ohnmächtiger Klage; denn Gefahr droht im
Verzuge. Es gilt eine kühne Tat.
„Das Eisen zerschlug ihm den Lauf;
sich zu retten gibt er ihn auf,
amputiert sich selbst, wie grimmig es schmerze,
er hat ein entschlossenes, tüchtiges Herze.“ aubo.)
„Einmal gefangen“, denkt er, „und nimmer wieder!“ und er jagt
davon, leicht und frei, „als hätte er eben nur den Stiefel ausgezgogen“.
Die Niederlage mub sein Genie neue Künste und neue Siege lehren.
Das ist Reineke, der Held! — Hermann Masius.
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183. Das Kamel.
De Kamel ist das Schiff der Wüste. Es hat die Zeichen der Sklaverei, ein
oder zwei behaarte Fetthöcker, auf dem Rücken; Schwielen an Brust und Knie
sind die Folgen seiner Arbeit; die Ballen seiner kleinen, gespaltenen Hufe schützen
es vor dem heißen Sande. Eine Mißgestalt ist es, ohne Schmuck, ohne Anmut,
halb Pferd, halb Schaf, mit gespaltener Lippe, mit kleinen, aufgestellten Ohren,
mit langem, eingebogenem Halse, mit dem Barte an Brust und Kinn, dem
hageren Kreuze und kurzen Schweife. Auf hohen Beinen schreitet es daher,
geht tagelang schwer beladen fort und ermüdet kaum.
Arabien ist das eigentliche Zuchtland des einhöckerigen Kamels. Die Blätter
der Disteln und stacheligen Gestrüppe sind seine Nahrung. Es erlabt sich an
dem Wasser der Zisterne und nimmt davon einen Vorrat auf die Reise mit; selten
wird ihm ein Trunk aus frischem Quell zu teil.
Von Haus aus ist das Tier störrig; es wird aber dazu abgerichtet, sich
auf den Boden zu werfen und Lasten zu tragen; dann beugt es demütig und geduldig
die Kniee vor seinem Gebieter, damit er es bequem belade. Auf seinen Wink
erhebt es sich und folgt ihm. Er nährt sich von der Milch des Kamels, ißt sein
Fleisch und kleidet sich mit seinen Wolle.
Der Morgen dämmert über der Wüste; die Karawane schreitet in langem
Zuge die kahle, endlose Ebene hin und fördert ihre Schritte nach dem einförmigen
Ton der Pfeife. Die Kamele sind mit Ballen beladen, mit Tüchern bedeckt; auf
ihnen sitzen die Mauren mit bunten Turbanen und Mättteln, mit Dolch und
Säbel, ihren unzertrennlichen Gefährken. Den Kamelen zur Seite gehen die
Sklaven. Voran reitet ein brauner, hagerer Araber, der Herr des Zuges. Das
ganze bunte Gewimmel ist in eine Wolke von Staub gehüllt. Die Sonne steigt
empor; die Karawane kehrt sich ihr entgegen und begrüßt den Herrn der
Schöpfung. Und höher hebt sich die Sonne; ihre Glut strahlt herab und wieder
Norddeutsches Lesebuch (Mittel- u. Oberstufe).
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