Full text: [Teil 2 = Mittel- und Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Mittel- und Oberstufe, [Schülerband])

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183. Das Kamel. 
von der Erde auf. Die wunden Sohlen schmerzen; die Glieder ermatten; 
brennender Durst peinigt jeden. Kein Strom zieht die Silberwelle durch ein 
frisches Grün; weithin ist kein Gesträuch zu erspähen. Auf heißem, schattenlosem 
Boden schreitet die Karawane. Käme im Sturm eine schwarze Wolke, rissen 
Blitze die Schleusen des Himmels auf: es würde Rettung den Schmachtenden 
bringen; das Gebrüll des Löwen wäre ihnen erwünscht, würde es doch ersehntes 
Land verheißen. Da liegt mitten in der stillen Wüste ein Quell, ein lebendig 
Begrabener, der seine leise Stimme vernehmen läßt; das Kamel hat ihn aus 
der Ferne schon verspürt, und plötzlich gewinnt es seine Kräfte wieder, schreitet 
rasch voran, ihm froh nach der ganze Zug. Da steht es still und bäumt sich 
vor Freude. Aus jedem Auge bricht ein lebendiger Strahl, die matten Glieder 
durchzuckt eleltrisches Feuer. Es stellt sich die Karawane im Kreise auf; eifrig 
wird der Boden aufgescharrt, und aus des Grabes Tiefe tritt der Quell glänzend 
an den Tag, und alles stürzt hin, sich zu erlaben am unverwüstlichen Lebens⸗ 
borne. Die erstarrten Züge werden milder, die Augen heiter; der Mut ist ge— 
stählt; die Kräfte wachsen. Man lagert sich; die Zelte werden aufgeschlagen, 
die Tiere werden gefüttert und mit Sorgfalt vom Staube gereinigt. Da sind 
alle Drangsale vergessen, Gespräche erheitern die Nacht, Märchen werden erzählt, 
dile leere Wüste ist zu einem Paradiese geworden. 
Und ist das Fest vorüber, sind die Schläuche gefüllt, die Kamele getränkt, 
so werden die Zelte abgebrochen, die Ladungen aufgeschnallt; lustig ertönt die 
Pfeife, und die Reise geht dem Ziele zu. Wochen gehen vorüber; eine Ode ver⸗ 
liert sich wieder in der anderen in steter Einförmigkeit. Heiße Tage wechseln 
mit kalten Nächten ab. Am Tage geht der Müde im Schatten des Kamels; 
es wendet sich gegen ihn und leckt ihm die Hand; des Nachts erwärmt es ihn. 
— Der Chamsin?) wälzt seine Gluten über die Ebene; das Kamel ist wieder dem 
Menschen Schirm vor diesem Ungeheuer. Eine grüne Landschaft spiegelt sich in 
den Lüften; in der Ferne glänzt ein See! die Oase ist erreicht! — Vergebliche 
Hoffnung! Täuschung und Trugbilder sind es; die Landschaft vergeht; der See 
wird zur Steppe, über welche Salzkristalle statt der Quellen ihren Glanz ver— 
breiten. Die Wasserschläuche werden leer, die Tage heißer, lästiger, die Schritte 
der Karawane erlahmen. Da wirst du, o treues Tier, nochmals der Retter 
deines Herrn; mit deinem Blute, mit deinem Leben erkaufst du ihm das seinige! 
Er stößt den Dolch in dein Herz, fällt über dich her, trinkt dein Blut und 
gewinnt Kraft, das blühende Gestade der Wüste zu erreichen. 
Nach Rudolf Meier. 
Heißer (479) Wüstenwind in Unterägypten, weht besonders nach der Frühlings— 
Tag- und Nachtgleiche.
	        
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