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ken der Schlacht verbarg. Ruft künftig, wenn eure Mutter
nicht mehr lebt, diese unglückliche Stunde in euer Gedächtnis
zurück! Weint dann meinem Andenken Tränen, aber begiiügt
euch nicht mit Tränen allein, hajidelt, entwickelt eure Kr äße!
Vielleicht läßt Preußens Schutzgeist sich auf euch nieder. Be¬
freit dann euer Volk aus der Erniedrigung, in der es jetzt
schmachtet! Sucht den verdunkelten Ruhm eurer Vorfahren
von den Franzosen wiederzuerobern, wie euer Ahne, der Große
Kurfürst, einst bei Fehrbellin die Schmach des Landes an den
Schweden rächte!“
Schlag auf Schlag folgte das Unglück. Immer weiter
ging die Fahrt nach Osten, an die Grenze des Landes. In
Königsberg wurde die Königin vom Typhus befallen. Kaum
genesen, mußte sie mitten im Winter unter unsäglichen Ent¬
behrungen nach Meinet flüchten. Aber noch hatte sie den
Leidensbecher nicht völlig geleert. Sie sollte die tiefste Erniedri¬
gung des Vaterlandes erleben. Die Schlacht bei Eylau zer¬
störte die letzte Hoffnung auf Rettung. Friedrich Wilhelm,
der seinen Bundesgenossen, den Kaiser Alexander von Ru߬
land, nicht verlassen wollte, mußte erfahren, daß die Treue
ein seltenes Gut ist. Alexander schloß Frieden mit Napoleon.
Preußen war dem übermütigen Sieger auf Gnade und Ungnade
überliefert ; nur der Fürbitte des russischen Kaisers verdankte
Friedrich Wilhelm die Erhaltung des Thrones.
Luise reiste nach Tilsit, um von Napoleon mildere Frie¬
densbedingungen zu erbitten. „Das ist das schwerste Opfer,
das ich meinem Volke bringe,“ erklärte sie, „und nur die Hoff¬
nung, diesem zu nützen, kann mich dazu bringen.“ Napoleon
behandelte die Königin liebenswürdig und versprach, ihrer Bit¬
ten zu gedenken. Als die Rede auf den Krieg kam, fragte er:
„Aber wie konnten Sie es wagen, mit mir Krieg anzufangen?“
Voll Hoheit gab Luise die berühmt gewordene Antwort: „Sire,
dem Ruhme Friedrichs des Großen war es erlaubt, uns über
unsere Kräfte zu täuschen.“
302. Der Freiherr vom Stein.
Von Joseph Freundgen.
In den Jahren der Erniedrigung, die für Preußen nach dem Frie¬
den von Tilsit hereinbrachen, arbeitete Friedrich Wilhelm III.
mit Umsicht und Beharrlichkeit an der Wiederherstellung des Staa-