Full text: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband])

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Begeisterung, mit der die Bewohner der alten Lande dem Einzug 
ihres Kaisers uud Herzogs eutgegeusahen. Zu Tausenden waren 
sie zusammengeströmt, um in Gemeinschaft mit ihm das Gedächtnis 
der Einverleibung des Landes in den Preußischen Staat zu begehen; 
in seiner Gegenwart sollte das herrliche neue Reiterstandbild des 
Großen Kurfürsten enthüllt werden. 
Die Sonne lachte auf den Rheinstrom, auf die 
hochragenden Zinnen der alten Schwanenburg, auf die festlich ge¬ 
schmückten Straßen und Plätze der Stadt hernieder. Goldig funkelte 
ihr Licht durch die Wipfel der Bäume des „Tiergartens". In das 
Rauschen der Bäume mischten sich die machtvollen Glvckenklänge, die 
von den Türmen der Stadt zum „Stillen Winkel" hinüberklangen. 
Die Stadt Cleve besitzt eine Glocke, die folgende Inschrift trügt: 
„Ick heyt boose gramme Griet, 
Als ick slaa, so slaa ick met verdriet." 
Heute hat auch die böse heisere Grete ihren Verdruß vergessen 
und jubeltönig den Willkommengruß dem Kaiserpaare entgegengesandt. 
Wie sollte sie auch zurückbleiben, wenn tausend Herzen treuer Unter¬ 
tanen dem Herrscherpaar in Liebe und Dankbarkeit entgegenjubelten! 
Um 11 Uhr morgens fuhr der kaiserliche Svnderzug in den 
Bahnhof „Stiller Winkel" ein. Nachdem der Oberpräsident der Rhein- 
provinz das Kaiserpaar begrüßt hatte, setzte sich der Festzug in 
Bewegung. Voran ritt auf prächtigen Rossen ein Ehrengeleit von 
60 Landleuten in schmucker Reitertracht. Der kaiserliche Vierspänner 
wurde von einer Schwadron Düsseldorfer Ulanen begleitet. Überall 
erscholl brausendes Hochrufen der Menge. 
Ein wahrhaft farbenprächtiges Bild bot sich dem Auge am 
Amphitheater. Von den waldumkrünzten Höhen grüßten die hellen 
Stimmen weißgekleideter Mädchen. Der Bürgermeister von Cleve 
trat an den kaiserlichen Wagen heran, um den Willkommgruß der 
Bürgerschaft zu entbieten. Dem Bürgermeister folgte sein jugend¬ 
liches Töchterchen. Mit glockenheller Stimme brachte es dem Kaiser¬ 
paar einen poetischen Festgruß dar und überreichte der Kaiserin 
einen Blumenstrauß. 
„Wenn ich in meinem Märchenbuch gelesen, 
So war das Allerschönste stets darin 
Vom guten König, von der Königin, 
Die gar so lieb und fromm und schön gewesen. 
Oh, welchen Tag in meinem jungen Leben 
Bringt heute mir die blüh'nde Sommerzeit! 
Durch meine Kinderseele geht ein Beben: 
Das schönste Märchen wurde Wirklichkeit!"
	        
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