Full text: [Oberstufe, [Schülerband]] (Oberstufe, [Schülerband])

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langsam, dass wohl eine Schnecke hätte sein Vorreiter sein können, 
und wer ihn grüsste, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein 
auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und 
am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel lange 
nicht so lieblich gesungen hätten wie heute, und der Tau schien 
ihm so frisch, und die Kornrose im Felde so rot, und alle Leute, 
die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und jeden 
Morgen, wonn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er 
ging leichter und munterer dahin; und als er am achtzehnten Tage 
in der Sladt des Arztes ankam und den andern NMorgen aulstand, 
wWar es ihm so wohl, dass er sagteé: „Ieh hätte zu keiner unge— 
schicktern Zeit gesund werden können als jetzt, wo ich zum Doktor 
soll. Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder 
das Herzwasser liefe mir!“ 
5. Unterredung mit dem Arzte und Dank des Geheilten. 
Als ér zum Doktor kam, nahm ihn dieser bei der Hand und 
zagte ihm; „Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, 
Vas Luch fehlt!“ Da sagte er: „Herr Doktor, mir fehblt gottlob! 
nichts, und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen.“ 
Der Doktor sagtèé: „Das hat Euch ein guter Geist geraten, dalss Ihr 
meinem Rate gefolgt seid. Der Lindwurm ist joetzt abgestanden; 
aber Ir habt vnoch Eier im Leibe; deswegen mülst Ihr wieder zu 
Puss heimgehen und daheim fleilsig Holz- sägen und nicht mehr essen, 
als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht ausschlüpfen, s0 
könnt Ihr ein altèr Mann werden!“ und lächelte dazu. 
Der reiche Fremdling aber sagte: „Herr Doktor, Ir seid ein 
feiner Kauz, und ich verssehe Euch wohl,“ und ist nachher dem Rate 
gefölgt und hat siebenundachtzig Jahre vier Monate zehn Tage ge— 
lebt wWie ein Fisch im Wasser so gesund und hat alle Neujahr dem 
Arzte zwanzig Goldstücke zum Grusse geschickt. 
Merke: Arbeit, Mälsigkeit und Ruh schlielst dem Arzt die 
Dhũre zUuU. Joh. Pet. Hebel. 
83. Von Kleidern. 
Menn du einen Flecken an deinem Kleide oder irgendwo einen 
Riss hasst, denket du oft: „Pahl das sieht man nicht, und die 
Leute haben andres zu thun, als immer alles an mir auszumustern.“ 
— Du gehst dann frank und frei herum, und es kann oft sein, du 
hast recht, es sieht niemand den Flecken und den Rilss. 
WMenn du aber etwas Schöõnes auf dem Leibe hast, sei es nur 
ein schönes Halstuch oder ein frisches Hemd mit weisser Brust oder 
gar eine goldene Nadel und dergleichen, da gehst du oft mit 
herausfordẽrndem Blicke hinaus und schlägst die Augen nieder, 
um es nicht zu bemerken, wie alle Leute, was sie in den Händen 
haben, stehen und liegen lassen und gar nichts thun, als deine 
Herrlichkeit betrachten. — So meinst du; aber das ist auch 
gefehlt; kein Blick wendet sich nach dir und deiner Pracht.
	        
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