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sein Angesicht. Mit müden Augen schaut der Greis auf die seltsame
Gestalt.
„Wer bist du?“ fragt er. Eine tiefe, ruhige Stimme antwortete:
„Ich soll dich heimholen“.
Siehe, jetzt legt der Pilgersmann Stock und Hut und Palmen
auf einen Stuhl. Dann ergreift er das schwerste Glockenseil und be—
ginnt zu läuten. In wuchtigem Wohlklange durchwogen die Töne der
Gloriosa das stille Gemach; sie singt und klingt: „Es ist Ostern“.
Ein Vöglein sitzt am offenen Fenster. Helle Jubellaute dringen
aus der kleinen Brust und mischen sich mit dem tiefen Glockenklange.
Das Vöglein zwitschert und jauchzt: „Es ist Ostern“.
Die Sonne steigt herauf aus dem schwarzen Meere der Nacht in
rosiger Schönheit. Die goldenen Lichtwellen fluten über die Welt,
fluten herein in die Domstube und künden mit freudigem Schein: „Es
ist Ostern“.
Der Greis sitzt zusammengesunken in seinem Stuhle; die Hände
ruhen gefaltet auf seinen Knieen. Er hört wie aus weiter Ferne die
Töne. Das Sonnenlicht erscheint ihm wie ein Gruß aus einer anderen
Welt. Ein Lächeln verklärt das faltenreiche Antlitz. Er neigt das
Haupt, — ein leichter Seufzer, ein letzter Gedanke: „Es ist Ostern“.
Ein Bild von dem Maler Alfred Rethel ist's, das ich hier be—
schrieben habe, ein Lieblingsbild von mir. Oft, wenn mein Herz mir
schwer geworden war im Ungestüm des drangvollen Erdenlebens, habe
ich vor diesem Bilde gestanden. Und wenn ich den alten Mann sah
mit dem Himmelsfrieden im Antlitz, über ihm an der Wand den Ge—
kreuzigten und den Morgenglanz über der Frühlingswelt und den
Tod, der die Osterglocke läutet und Palmen mitgebracht hat für den
treuen Streiter, dann überkam mich die starke Zuversicht: „Das Leben
ist stärker als der Tod, mächtig über alles Böse ist die Liebe, über
alle Finsternis triumphiert das Licht; — es ist Ostern. Darum, was
betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre des
Herrn! Ihm nach, treu im Kampfe des Lebens, allzeit aufwärts,
heimwärts! Einst kommt dein Ostern“! Gros.
41. Und dann?
1einem alten, frommen Manne kam einst eilenden Schrittes
ein munterer Jüngling und rief: „FPreue dich mit mir, mein
Vater! Endlich, endlich hat mein Oheim seine Einwilligung ge-
geben; ich darf nun auf die hohe Schule und ein Rechtsgelehrter
werden. Nun ist mein Glück gemacht!“
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