Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen des Regierungsbezirks Düsseldorf

81 
begrüßte. Frau Adelheid saß so voll schöner Lieder wie ein 
Kirschbaum im Juni voll Kirschen, und dazu konnte sie aller¬ 
bebst erzählen. 
Einmal, so erzählte sie, hätte sie sich besuchsweise einige 
Tage in der großen Stadt aufgehalten und sich allda wacker 
umgeschaut; aber so prachtvoll es da auch gewesen wäre, 's 
hätt’ ihr doch in der Stadt nimmer und nimmer gefallen wol¬ 
len. Nein, ganz und gar nicht! Heim, wieder heim in meine 
bebe Alb, in mein liebes trautes Dorf! hätt’s immer in ihr ge- 
rufen, denn da wär’s doch am „aller- allerschönscht“. „Da kennt 
einer den andern,“ fuhr sie fort, „da weiß jedermann, wer’s 
Adele ist, und was sie hat, und schon von weitem ruft man 
ihr zu: „Grüeß Gott, Adele! Geht’s dir au guet ?“ Oder: 
»Host au guet g’schlofe ?" Und ebenso kennt’s Adele all und 
jeden und weiß, wer der ist, und was er ist, und was er hat, 
und sie geht an keinem vorbei, ohne daß ein fröhlich oder 
ernstes Plauderwort miteinander getauscht wird. In der Stadt 
über hasten sie alle aneinander vorüber wie die Tiere, und 
keiner kennt den andern, und keiner grüßt den andern, und 
wenn sie sich aus Versehen anrennen auf der Straße, so sagen 
sie bloß: „Ho, hopsa!“ und hasten weiter. 
Auf dem Dorfe hat man vor allem sein liebes eigenes 
Häuschen, und wenn’s auch nur klein ist und nur wenig dazu¬ 
gehört, ’s ist doch ein wahres Paradies gegen die kleine Miet¬ 
wohnung in der Stadt, im vierten Stock oder im Keller unter 
bem Riesenhause.“ So plauderte sie immerfort. Und es ließe 
sich überhaupt nickt sagen, wie schön es im heimatlichen Dorfe 
wär’, sie tausche es mit keiner Stadt der Welt, und wenn auch 
einer käme und ihr eine ganze Stadt zum Geschenk machen 
Wolle. Nein, sie tät’s nimmer. 
Ein merkwürdiges Wort, ja, ein ganz unvergeßliches Wort 
sprach Frau Adelheid, als wir an einem jungen „Mädle“ vor¬ 
überkamen, das auf grüner Kornbreite krautete. Unsere Füh- 
rerin redete es fröhlich an und fragte, ob das Kraut gut wäre, 
und ob’s auch mit’m Mütterle gut ständ’. Und das Mädchen 
gub, halb aufgerichtet, mit heller, klarer Stimme Bescheid. Es 
stand leider zu weit ab vom Wege, man konnte ihm nicht näher 
ins Gesicht sehen, aber man merkte, daß es ein bescheidenes, 
freundliches Wesen hatte. „Des ischt die Fürnehmscht im Dorf!“ 
sagte Frau Adelheid in ihrer treuherzigen Mundart, als wir 
weitergingen. „Das ist die Vornehmste im Dorfe?“ wieder¬ 
holte ich im erstaunten Frageton und sah mich rasch noch ein- 
Lesebuch für Oberklassen D. 6
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.