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„Noch bei Menschengedenken trug man kleine, enge, kurze Kleider und
Kappen mit Zotten. Jetzt ist alles anders und umgekehrt, weit, groß."
(Sebastian Franck im Weltbuch. 1531.) Man zwängt den Körper nicht mehr
in äußerst enge Gewänder ein (s. Stadtinneres!), die noch dazu den Hals
und zum großen Teil auch die Brust entblößt lassen, sondern man liebt es
jetzt, das Kleid da, wo die sreie Bewegung dies fordert, durch Schlitze, Puffen
und Wülste zu erweitern, und das Hemd, seiugesältet und mit einem schmucken
Bündchen abgeschlossen, bis zum Halse aufsteigen zu lassen oder den Brust¬
ausschnitt durch eine Unterweste, ein Kragentuch mit feiner Krause zu ver¬
decken. In noch bescheidenem Maße zeigt die Kleidung der Großmutter der¬
artige Verdickungen und Erweiterungen, deutlicher aber tritt das Streben nach
bequemerer, bauschiger Tracht bei dem Hausherrn hervor. Der Leibrock
desselben ist weit und so lang, daß die gleichbreit angeordneten Langfalten an
seinem unteren Teile die kurzen Oberschenkelhosen gänzlich verdecken, die der
Besitzer über die lange, auch jetzt noch enganschließende Strumpfhose gezogen
hat. Vor allem sind die Ärmel seines Leibrockes mannigfach gebunden, zer¬
schlitzt und mit andersfarbigem Tuche unterlegt, eine Art schmuckvoller Ge¬
staltung des Obergewandes, welche recht eigentlich aus dem deutschen Volke,
der jugendlich freien Bürgerschaft und dem kriegslustigen Sölduertum ent¬
sprungen ist, und in welcher die Spanier, Franzosen und Engländer von den
Deutschen noch weit Übertrossen worden sind. So steht der Hausherr in
seiner Straßenkleidung als der Typus eines wohlhabenden, deutschen Bürgers
der Reformationszeit vor uns. Daß er den Begüterten beizuzählen ist, darauf
weist vor allem auch seine Schaube hin, jener mit Pelzkragen nnd vornherab-
laufeudern Überschlag versehene Mantel, der keine Ärmel, sondern nur Arm¬
löcher hat.
Auch in Bart- nnd Haartracht gleicht unser Kaufherr den meisten ehr¬
baren Bürgern der Stadt. Er trägt, wie es jetzt allgemein gebräuchlich
geworden ist, das Haar vor der Stirn kurz abgeschnitten und an den Seiten
schlicht herabgekämmt, den Bart als gerade gestutzten Vollbart/ und sein Haupt
ist bedeckt mit dem so vorzüglich zum ganzen Kostüm passenden Barett.
Dieses letztere hat rasch Anklang gefunden und gar bald die oft seltsamen,
phantastischen Kopfbedeckungen des 15. Jahrhunderts verdrängt. Der Neigung
* Erst am Ende des 15. Jahrhunderts war die Neigung, den Bart wachsen zu
lassen, ausgekommen. Anfänglich mag aber die Barttracht mitunter recht verschiedenfach
und seltsam gewesen sein, wenigstens schreibt Geiler von Kaisersberg hierüber (1498): „Es
sein darnach andere Narren, die tragen halbe Bärte als stette, sein uff einer Seiten ge¬
schoren, etlich tragen Äuebelbärt, etliche houd ein klein ©tiicf lein an den Backen ston, es
will jeglicher etwas besnnders tragen."
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