212 IV. Neuhochdeutsche Zeit. D. Die Litteratur des neunzehnten Jahrh.
AnaMsms Grün.
Anton Graf von Auersperg, geboren am 11. April 1806 in Laibach, erhielt
seine Vorbildung durch Privatunterricht auf dem Theresianum und auf der Ingenieur-
akademie in Wien, machte in Graz und Wien philosophische und juristische Studien,
lebte später meist auf seinem Erbschlosse Thurn am Hart in Krain, trat wiederholt
als Politiker auf, wurde in den Reichsrat berufen, erhielt die Würde eines Geheim¬
rats und starb am 12. September 1876 in Graz.
Lyrische Dichtungen (darunter besonders wichtig die politischen Gedichte).
VI A, 74, Der letzte Dichter; 75. Deutscher Brauch; 76. Meer¬
fahrt; 77. Aus den Blättern der Liebe.
140. Gastrecht.
1. Alexander Ipsilanti stürzt vom Schlachtfeld kampserhitzt,
Wo die Freiheit ihres Blutes letzten Tropfen hat verspritzt,
Wo er einen hohen Orden sich gewonnen unbewußt,
Eine schöne Heldenwunde klaffend vorn an seiner Brust.
2. So mit stolzer Purpurrose seinen Busen ausgeschmückt,
In der Hand den Stumpf des Schwertes, kampfzerbrochen und zerstückt,
Tritt der Held auf Östreichs Boden, — o betrat' er ihn doch nicht! —
Beut vertrauend uns die Hände, tritt an unsern Herd und spricht:
3. „Wenig ist's, darum ich flehe. Gebt mir Linnen zum Verband,
Laßt an eurer Luft mich laben und erfreu'n an eurem Land!"
Mächt'ger als der Mund des Gastes spricht sein rinnend Heldenblut;
Und sie heißen ihn willkommen und zu bleiben wohlgemut.
4. „Munkacs ist ein hübsches Schlößlein, Luft und Aussicht schön und rein;
Nur beschränkt Euch noch einstweilen auf ein einzig Fensterlein!
An Verband sollt's Euch nicht fehlen, der wohl fest und gut Euch paßt,
Scheint er auch zu sein von Eisen, gleicht er auch den Ketten fast."
5. Durch sein Gitterfenster nieder blickt der Griechenheld aufs Land,
Das in schwelgerischer Fülle zaubervollen Lenzes stand:
„O wie können Rosen duften, Saat und Frucht noch schwellen dicht,
Saft'ge Reben lockend winken, wo des Gastes Recht man bricht?"
6. Sieben lange Jahr' in Ketten dort der Leu aus Hellas lag;
Sieh, nun löst man sie, daß wieder frei mit uns er wandeln mag!
Aber kaum nach sieben Tagen brach der Tod sein Herz entzwei;
Traun, mich dünkt, daß er gestorben wohl an unsrer Freiheit sei!