Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen des Regierungsbezirks Düsseldorf

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die mit deinen Nadeln koste, wie in den rauhen Nord, der deine Krone 
durchwühlte. Nls dir der Nahrungssaft kärglich zufloß, kamen wahr- 
peinlich auch die Schnitter bangen Herzens auf ihren Äcker; denn 
die Halme waren dünn und die Ähren klein. Die alten Wirtschafts¬ 
bücher jenes Gutes, auf dessen Zluren du standest, würden ohne Zweifel 
ebenso sprechen wie diese kümmerlichen Jahresringe deines Holzes. 
Dder war es der häßliche Vielfraß, die Kiefernraupe, die deine Nadeln 
Üaß und also dich der schaffenden Hände beraubte, welche die Jahres¬ 
ringe bereiten? Willst du wissen wer es mir sagte, daß du vor acht 
fahren deinen alten treuen Gefährten verloren hast, der seine Wurzel 
aut der deinigen verflocht, ja, daß du überhaupt einen solchen hattest? 
Du selbst hast mir's gesagt. Deine letzten acht Jahresringe sind zwar 
schwach; denn du bist alt geworden, und es strömt nicht mehr üppig 
gaffendes Leben in deinem Leibe, aber sie sind ringsherum von 
gleicher Breite. Älle übrigen jedoch sind nach der einen Leite hin viel 
schmaler als nach der andern, wodurch dein Mark sehr weit seitlich 
liegt. Än dieser Leite stand dein Nachbar, der dich hinderte, rings¬ 
herum gleichmäßig anzubauen. Äls er beseitigt war, hinderte dich 
nichts mehr daran. — 
Leht, ihr mächtigen Ltämme, so gibt mir jeder von euch seine 
beschichte zu lesen, so seid ihr mir die Ltammbäume eures Geschlechts. 
KW. Ans der Welt des unendlich Kleinen. 
P. Grüner. 
Ein Schneeflvckchen, im'kalten Nordwinde fortgewirbelt, setzt 
sich auf unsern Rock nieder. Ein Stäublein ist's, all dem wir 
achtungslos vorbeigehen; in wenigen Sekunden wird es verschwun¬ 
den seiil. Aber nehmen wir uns Zeit, dieses flimmernde Ding zu 
betrachten, es auf kalter, schwarzer Tafel unter ein starkes Ver¬ 
größerungsglas zil legen! Welch ein Kunstwerk enthüllt sich unserem 
Auge! Überall heften sich die kleinen, glitzernden Eisblättchell an¬ 
einander, scheinbar regellos liegen sie da, und doch prägt sich immer 
dasselbe Gesetz in ihrer Anordnung aus. Tausende von Schnee¬ 
kristallen mögen wir betrachten, alle weisen immer auf dieselbe sechs- 
flrahlige Grundform zurück, aber keines ist dein andern gleich. Kein 
Zufall hat diese Kristallblättchen aneinandergefügt, soildern ein un¬ 
veränderlicher Gedanke hat die Entstehung dieser malmigfaltigen 
Kleingebilde geleitet. 
Ein Hälmchen liegt am Boden, wie deren Hunderte und aber 
Hunderte vom schweren Schritte des geschäftigten Mellschen geknickt 
und zertreten werden. Aber wenn wir die Mühe nicht scheuen, ein
	        
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