Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen des Regierungsbezirks Düsseldorf

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Stücklein dieses Halmes aufzulesen und unter dem Vergrößerungs- 
glase prüfend zu erforschen, so offenbart sich uns ein wohlausge- 
führter Ban. Zimmer reiht sich an Zimmer, getrennt durch zarte 
und doch widerstandsfähige Wände. Kleine Türen verbinden ein¬ 
zelne dieser Räume, während langgestreckte Gänge in kunstvoller 
Weise das Gebäude durchziehen. Es sind die Zellen, aus denen 
das zarte Pflänzlein sich aufbaut, und in welchen sein Leben schlägt- 
Einige hundert solcher Zellen können auf einen Millimeter neben¬ 
einander gelegt werden, und doch ist jede ein eigenes, kleines Lebe¬ 
wesen. Jede hat ihren Zellinhalt, das ist eine feine Eiweißmasse; 
jede hat ihre Zellkerne, das sind winzige Körnlein, die selber wieder 
einen eigenartigen Bau sehen lassen. Jede Zelle hat ihre Aufgabe; 
die Eiweißmasse arbeitet, bewegt sich und nimmt Nahrung auf, Zell- 
kerne teilen sich und geben Anlaß zur Vermehrung, zur Neubildung 
von Zellen; die Zellwände sorgen als wachsame Polizei dafür, daß 
nur die richtigen Stoffe dem Zellinhalte zukommen. Aus dem ver¬ 
einten Zusammenwirken all der Zellen wächst das Hälmchen, wächst 
die ganze Pflanze auf. 
Dort schimmert ein sumpfiges Wässerlein aus der grünen 
Wiese heraus. Wir tauchen unsern Finger ein und lassen den 
klaren Tropfen, der an ihm hängen blieb, auf ein Glasplättchen 
fallen, das unter ein Vergrößerungsglas gestellt wird. Dieses 
Tröpflein birgt eine ganze Welt. Welch reges Treiben herrscht in 
diesem kleinen Raume, der kaum die Größe eines Stecknadelkopfes 
einnimmt! Wie wimmelt es da von seltsamen Gestalten, die bald 
friedlich aneinander vorbeiziehen, bald in wildem Kampfe ums Da¬ 
sein einander anfallen. Jede dieser winzigen Gestalten ist ein gan¬ 
zes Wesen, in dem sich alle Lebensvorgänge, Ernährung, Wachstum 
und Vermehrung, nach wohl bestimmten Regeln vollziehen. 
Eine Nadelspitze ritzt unmerklich unsere Haut. Wir fühlen, 
kaum den seinen Stich und lassen uns in unsern Gedanken gar 
nicht stören. Aber ein winzig kleines hochrotes Blutströpflein quillt 
hervor — und auch dieses Blutströpflein ist eine Welt! Zu Mil¬ 
lionen schwimmen darin kleine scheibenförmig plattgedrückte Körper 
herum, die Blutkörperchen, deren Größe nur sieben Tausendstel eines 
Millimeters beträgt. Und doch ist jedes dieser Körperchen eine Zelle, 
ein kleiner Organismus, der selbständig sein Leben in dem großen 
Organismus des Menschenleibes fristet, und der doch ohne ihn nicht 
bestehen kann, sowie umgekehrt der menschliche Körper zugrunde 
geht, wenn seine Blutkörperzahl zu gering geworden ist. 
Aber der Nadelstich ist nicht immer so harmlos. Feiner als 
die bestgeschliffene Nadel ist der zarte Rüssel des Moskitos. Sanft
	        
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