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3. Der Tempel der Natur.
Franz Hattlcr.
Als ich noch ein Büblein von zwölf bis dreizehn Jahren war,
nahm mich mein Vater, Gott hab' ihn selig, einmal auf einen
hohen Berg mit, von wo aus man den Großglockner sehen konnte.
Der Berg heißt die Kreuzfpitze, und er steht über St. Johann im
Jnseltal. Als wir oben bei der Almhütte ankamen, war es schon
dunkel geworden, und das Vieh war in die Stallungen getrieben.
Die Sennerin fanden wir eben beschäftigt, für den Abend auf dem
Herde zufammenzuräumen, aber sie ließ sich leicht erbittell, uns noch
eine warme Milchsuppe zu kochen. Dann ging es zur Ruhe. Wir
stiegen über eine Leiter hinauf unter das Dach ins luftige Bergheu.
Müde vom Bergsteigen, schlief ich bald ein. Aber die Sehn¬
sucht, das erstemal einen schönen Morgen auf der Alm zu sehen,
hatte mich schon frühzeitig geweckt, und weil der Vater noch schlief,
stieg ich vom Boden hinab und schlich hinaus vor die Sennhütte.
Das Himmelsgewölbe war wolkenleer; hier und da glänzte noch
ein Sternchen. Kein Vöglein war munter, das Vieh im Stalle war
auch noch nicht aufgestanden, alles lag noch im tiefen Schweigen,
weitum war es noch still — kirchenstill um mich her. Da geh' ich
von der Hütte weg und weiter hinauf bis zum Gipfel des Berges;
von dort aus, sagte abends die Sennerin, könne man den Großglock¬
ner sehen.
Wie ich der Spitze immer näher komme, fängt mir das Herz
im Leibe an wunderlich zu schlagen und unruhig zu werden, und
in der Seele wird es mir, als ginge ich einem hohen Herrn, dem
Kaiser oder einem ehrwürdigen Bischöfe, entgegen. Da machte ich
nur mehr Schritt für Schritt und schaute heimlich über den Berg¬
rücken und durchs niedrige Gestrüpp hindurch, als ob ich mich fürch¬
tete. Und- jetzt habe ich was Graues durchscheinen sehen; ich tue
noch einen und jetzt noch einen Schritt, und da steht er nun vor mir
— der Großglockner!
Fast wie Ehrfurcht hat es mich da erfaßt, und ich schaue ihn
lange und still an. Wie er da emporragte über alle Berge rings¬
um hoch hinein in den heitern - Himmel! Weit herab ist er mit
ewigem Schnee bedeckt; dann siehst du nackten Fels und dann Baum¬
grün bis herab an den Fluß, wo das Tal und das Dorf Kals liegt
mit seinen Häusern und Hütten. Wie die winzig herauskommen
gegenüber dem riesigen Bergstock!
Weit um ihn herum stehen im großen Bogen die andern Eis¬
berge, und ihre weißen zum Himmel ragenden Gipfel, die über die
nahegelegenen grünen Berge hinüberschauen, nehmen sich aus wie