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Legt der Mensch, auf einer höheren Stufe der Cultur angelangt, end¬
lich Maschinen und Fabriken an, so lernt er bald die schwache Kraft
der eigenen Hand durch die gewaltige Triebmacht der Natur ersetzen.
Von allem, was die Natur ihm hier bietet, ist nichts energischer und
bequemer als das flietzende Wasser. Und so sehen wir, wie sich selbst
die Fabrikorte längs der Flüsse hindrängen und die User mit ihren
lieitzigen Bewohnern beleben.
Wie in ihrem friedlichen Verkehr, so werden auch in ihren feind¬
lichen Bewegungen die Menschen nirgend häufiger als an den Flüssen
Zusammengeführt. Mit großen Armeen über Flüsse vorzudringen, ist
umständlich und schwierig, erfordert Schiffe und Brücken. Die Flüsse
werden daher im Kriege als sehr diensame Operalionslinien auf¬
gesucht. Sie sind leicht zu verteidigen, so datz Lager und feste Plätze an
ihnen aufgeschlagen und die Korps der Krieger an ihren Ufern ver¬
teilt werden. An ihnen ziehen auch die Heere gern hin, weil sie die
eine Seite leicht gegen den Feind sichern können. Die größten
schlachten sind sonach meist an den Ufern der Flüsse geschlagen wor¬
ben. Aus demselben Grunde wählen die Völker und Staaten gern
bie Flüsse zu Grenzscheiden zwischen ihren Gebieten. Die Flüsse er¬
legen daher in militärischer und politischer Hinsicht eine ebenso
g^tze Bedeutung, wie in bezug auf Ackerbau, Handel und Industrie
und alle nationalökonomischen Interessen. Je nach ihrer Größe und
Mächtigkeit, nach der Richtung ihres Laufes, nach den Kombinatio¬
nen, die sie mit andern Flußlinien eingehen, je nach ihrer ganzen
Gliederung ist diese Bedeutung geringer oder größer.
Diesem allem nach kann man die Flüsse als die wahren Puls¬
iern des gesellschaftlichen Lebens bezeichnen. Ihr Lauf deutet die
striche an, welche die Menschen vorzugsweise bewohnen, die Punkte.
aut denen sie zu freundschaftlichen Geschäften oder zu Gefechten vor¬
zugsweise zusammenkommen. An den Flüssen liegen die Wiegen der
Maaten; sie sind die Wurzeln der großen Städte. Alle Völker haben
barum auch ihre Flüsse stets heilig gehalten uub im Altertum sogar
mächtige Gottheiten verehrt. Die Völker, welche ein und dasselbe
Stromgebiet bewohnen, sind durch die verschiedenen Zweige des
Stusses wie durch starke Bande miteinander verbunden. Sie genießen
^urch ihren Fluh gemeinsame Vorteile, sie erleiden durch ihn gemein-
^Me Schicksale. Durch ihre ganze Geschichte zieht sich gleichsam ihr
^luß wie cin leitender Faden hin. Nach den verschiedenen Abtei-
Iun9en dieses Flusses zerfällt die Bevölkerung selbst in verschiedene
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