Full text: [Oberstufe, [Schülerband]] (Oberstufe, [Schülerband])

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einem hübschen bunten Bande. So steht der Flachs dann in der warmen 
Stube; die Mädchen und Frauen sitzen beisammen im Kreise; die Lampe 
brennt im traulichen Zimmer. Das Holz im Ofen knistert lustig, und 
das Mütterchen erzählt wunderschöne Geschichten. Die Räder schnurren, 
und die Mädchen spinnen den Flachs zu einem feinen Faden. Der 
Weber wartet schon auf ihn. Viele Fäden spannt er auf den Webstuhl; 
andre wirft er zwischen durch. „Klipp, klipp, klapp!“ geht es den ganzen 
Tag vom frühen Moͤrgen bis zur spaten Nacht. 
Nach kurzer Zeit hat sich der Flachs zur Leinwand umgewandelt; 
doch grau und unansehnlich ist sie noch; kein Mensch mag sie so leiden, 
kein Kind ein Hemdchen oder Kleidchen von ihr haben; deshalb kommt sie 
zur Bleiche. Auf grünem Anger wird sie ausgespannt und liegt den 
ganzen Tag im heißen Sonnenscheine. Männer gehen zwischen den aus— 
gespannten Stücken durch und begießen sie mit Wasser, bis die unan— 
sehnliche, graue Farbe sich nach und nach ins schönste Weiß verwandelt 
hat. Das weiße Linnen blinkt von ferne wie Schnee. Es wird zuletzt 
getrocknet, zusammengerollt und in dem Laden des Kaufmannes neben 
vielen andern Stücken aufgestellt. 
4. Zum Kaufmanne kommt die Mutter und sucht das schönste Stück 
sich aus. Das Kind daheim braucht neue Hemdchen und ein neues Tüchlein 
übers Bett. Die scharfe Schere fährt mitten durch die Leinwand, wie 
es die Form des Hemdchens verlangt, das aus ihm gefertigt werden soll. 
Die spiße Nadel mit dem langen Faden durchbohrt die Linnenstücke an 
tausend Stellen, und der Faden verbindet sie zum Kleidungsstücke. Kaum 
hat das Kind das feine, weiße Schürzchen oder Kleidchen, den schönen 
Kragen, der aus dem Linnen angeferligt wurde, angezogen, so hat es 
unvoͤrsichtig hier einen Schmutzfleck, dort ein Tintenkleckschen darauf 
gemacht; die Kleider kommen wieder und wieder zur Wäsche ins heiße 
Wasser, in die scharfe Lauge von beißender Seife, bis endlich das Linnen 
so dünn und schlecht geworden ist, daß kein Stich mehr halten will. 
Da pfeift auf der Straße ein sonderbarer Mann ein abenteuerliches 
Lied. Die Kinder kommen zur Mutter und bitten: Komm, bringe das 
alte, zerrissene Linnen zum Lumpensammler!“ — Denn der Mann hat 
die schönsten bunten Bilder, und stets erhält das Kind eins davon, 
wenn es das alte Linnen ihm giebt. Der Lumpensammler hat den Sack 
bald gefüllt und wirft ihn auf den Wagen zu vielen andern Säcken mit 
gleichem Inhalte. 
5. Die Reise geht in die Papierfabrik. Hier werden die Lumpen 
abgeladen, genau besehen und verkauft. Nachdem sie sortiert sind, bringt 
man sie in große Dampfkessel, um sie mit Asche und Soda zu kochen, 
bis sie ganz weich und breiig sind. Dann wandern sie in eine große 
Maschine, die mit Hilfe des Wassers aus dem dicken, schmutzigen Lumpen— 
brei einen weißlichen Teig macht. Der Teig wird in der Papiermaschine 
durch Walzen gepreßt, geblaut, getrocknet, und endlich liegt ein Ries 
schneeweißen Papieres da; wieviel Arbeit und menschliche Erfindungskunst 
gehörte dazu, um es aus den Lumpen herzustellen! 
Wenn das Kind sein Schreibbuch ansieht, so soll es daran denken, 
wieviel dasselbe schon erlebt hat. Nach H. Wagner.
	        
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