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haben ihn lieb, denn er ist ihres Vaterlandes Hoffnung. Und ihm
fieht man's auch an, er hat das Bewußtsein: „Ich bin das Haupt.
Ich schlage, wenn sie streiten.“ — Gott weiß, was die Zukunft in
ihrem verschleierten Schoße birgt! — Item: Hebel sagt: „Die gold'nen
Kronen druͤcken schwer, 's isch net, als wenn's a Strohhut wär'.“
Der Siegeszug bewegt sich vorwärts in der Richtung nach
Reichshofen. Im Oberdorf aber schwenkt der hohe Feldherr rechts ab
in die Schindergasse — dort liegt in Reisehenners Stube der
tapfere General Raoul, blutend aus vielen Wunden, mit zerbrochenem
Schwert und brechendem Herzen. Der deutsche Sieger tritt in die
Bauernhütte ein, schaut freundlich in die fieberglühenden Augen, drückt
teilnahmsvoll die todesmatte Hand — ein Wort huldvoller Anerkennung,
eine Träne hochherzigen Mitleids vergelten den erbitterten Wider⸗
stand, und noch einmal, unter gewaltigen Siegesmärschen und unter
endlosem Freudengeschrei, wogt der Triumphzug vorüber.
4. Die Schreckensnacht.
Alle diese Begebenheiten, die Plünderung und der Triumphzug
des Kronprinzen, waren schnell aufeinandergefolgt und hatten uns
dermaßen betäubt und erschüttert, daß niemand eines klaren Ge—
dankens oder Handelns mehr fähig war. — Das Menschen- Pferde⸗
und Wagengetümmel war auch so groß, daß sich niemand ohne
Lebensgefahr auf die Straße hätte hinauswagen können. Und so
griffen denn die Flammen im Kirchturm immer weiter um sich, und
die Verwundeten wären bei lebendigem Leibe verbrannt, wenn nicht
ihr Jammergeschrei endlich durch Mauern und Menschenmassen herz⸗
zerreißend gedrungen wäre. „Rettet uns! Traget uns fort!“ — und
gottlobl es war noch Zeit. Die beiden Söhne des Grafen, mein
Bruder, die Schloßknechte und einige beherzte Männer, auch deutsche
Soldaten drangen in die Kirche, erfaßten die Unglückseligen und
schleppten sie in den Schloßhof hinüber. Dort waren alle Räume
schon überfüllt durch Hunderte von Verwundeten, und es blieb keine
andere Möglichkeit, als die Geretteten unter freiem Himmel auf die
Kirchenbänke und zwischen die Kirchenbänke auf die nackte Erde zu
betten. Und doch, wie froh und dankbar waren sie jetzt in frischer
Luft, dem gräßlichen Feuertode entronnen! Doch es will Abend
werden. Gottlob, daß dieser Schreckenstag sich endlich neigt und
die Nacht ihre dunkeln Fittiche über den Greuel der Verwüstung