Full text: [Teil 3 = [5. - 8. Schuljahr], [Schülerband]] (Teil 3 = [5. - 8. Schuljahr], [Schülerband])

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meinen Fingerspitzen zu landen. Selbstverständlich hat er das mit 
Hilfe vorgehaltener Fliegen gelernt. 
Er befand sich wohl, war gut genährt und geachtet. Da ge— 
schah es ihm wie manchen Leuten: das Glück machte ihn leichtsinnig, 
er bekam eine Vorliebe für Abenteuer. Daß er mir einmal mitten ins 
Tintenfaß plumpste, war wohl mehr meine als seine Schuld. Er hatte 
offenbar nicht vermutet, daß der schwarze Gegenstand hohl und oben 
offen sei. Der Unfall schien ihn peinlich zu berühren. Trotz sofortigen Ab⸗ 
waschens blieb er zwei Tage lang verstimmt, die Haut mag ihn wohl 
geschmerzt haben. Dann aber ging er auf Reisen. Eines Mittags war 
Joachim verschwunden. Es wurde festgestellt, daß er nicht durch ein 
offenes Fenster hatte entweichen können. Als er am andern Morgen nicht 
wieder erschien, wurde mein ganzes Zimmer aufs sorgfältigste durch⸗ 
sucht, aber keine Spur von ihm gefunden. Wo er gesteckt hat, weiß ich 
bis heute nicht. Genug, als ich am vierten Tage in mein Zimmer trat, 
saß er plötzlich wieder in seinem Glase, machte das unschuldigste Gesicht 
von der Welt und kroch mir eifrig entgegen, um Futter zu erhalten. 
Vierzehn Tage später war er wieder verloren. Diesmal schenkte 
ich ihm das Zutrauen, daß er sich von selbst wieder einfinden würde, 
aber er enttäuschte mich. Fünf, sechs, sieben Tage vergingen, ohne 
daß etwas von ihm zum Vorschein kam. Endlich nach einer Woche 
meldete mir ein Dienstmädchen: „Joachim sitzt in der Uüche im 
Wassertopfe.“ Richtig, da schwamm er, grün und vergnügt, in 
einem steinernen Gefäß herum, welches zur Aufbewahrung filtrierten 
Wassers diente. Er hatte einen zwanzig Fuß langen Gang und drei 
Türen passieren müssen, um dahin zu gelangen — oder hatte er sich 
am Kleide eines Dienstmädchens hinübertragen lassen, ohne daß sie es 
merkte? Auf eine vorgehaltene Fliege kam er mir bereitwillig ent⸗— 
gegen und wurde nunmehr zu nächtlicher Gefangenschaft im ver— 
schlossenen Glase verurteilt. 
Allmählich setzte der Winter ein, und Joachim verlor an Be— 
weglichkeit. Ich versorgte ihn mit Schlamm für den Fall, daß ihn 
die Cust anwandelte, sich einzugraben, aber er hat ihn nicht benutzt. 
Die milde Temperatur der geheizten Stube ließ ihn nicht zu einem 
eigentlichen Winterschlafe kommen. Doch war er träger und zeigte 
wenig Hunger, saß vielmehr mit Vorliebe auf der Erde eines Blumen⸗ 
topfes und rührte sich wenig. So vergingen die Monate Januar 
und Februar, ohne daß er von sich reden gemacht hätte.
	        
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