Object: Charakterbilder aus der Geschichte der Apostasie der Völker (Band 3)

Der Engel des Temples. Ein neues Hinrichtungsgesetz. 
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suchte, es wohl verdiente, bei allen, welche sie mit unbefangenem Auge sahen, der Engel 
des Temples zu heißen. 
Unzählige Mordtaten waren verübt, als am 22. Prairial (10. Juni) ein neues Ge¬ 
setz erlassen wurde, um den Gang des Revolutionstribunals, wenn möglich, noch mehr zu 
beschleunigen. In demselben wurden für Feinde des Volkes alle diejenigen erklärt, die der 
Freiheit entweder durch Gewalt oder durch List zu schaden strebten; alle, welche die Straflosigkeit 
und das Entkommen von Verschwörern und Aristokraten begünstigt, den Patriotismus ver^ 
folgt oder verleumdet, die Bevollmächtigten der Nation bestochen, die Grundsätze der Revo¬ 
lution übertrieben, die Gesetze und Maßregeln der Regierung durch falsche Anwendung ent¬ 
stellt, alle, die das Volk oder dessen Vertreter zu falschen Schritten verleitet, Mutlosigkeit ver¬ 
anlaßt, falsche Nachrichten verbreitet, die öffentliche 
Meinung irre geführt, die Sitten und das öffent¬ 
liche Gewissen verderbt, die Reinheit der republi¬ 
kanischen Grundsätze befleckt oder ihren Fortschritt 
durch gegenrevolutionäre Schriften und andere 
Machinationen aufgehalten, alle betrügerischen Lie¬ 
feranten und untreuen Verwalter der Staatsgelder, 
alle Beamten, die sich ihrer Gewalt zugunsten der 
Feinde der Revolution und zum Nachteil des 
Volkes bedient, endlich diejenigen, welche auf irgend 
eine Art die Freiheit, Einheit, Sicherheit der Re¬ 
publik angetastet oder deren Befestigung gehindert 
hätten. Für alle diese Verbrecher wurde die 
Todesstrafe bestimmt. Als Beweis zur Verurteilung 
sollte jedes mündliche oder schriftliche Zeugnis hin¬ 
reichen und das Gewissen der Geschwornen die 
einzige Regel der Urteile sein. Jeder Bürger sollte 
das Recht und die Pflicht haben, Verschwörer und 
Gegenrevolutionäre anzugeben; aber das Vorrecht, 
die Verbrecher vor das Tribunal zu stellen, sollte 
nur dem Konvent, den beiden Ausschüssen der 
Wohlfahrt und Sicherheit, dem Volksrepräsentanten 
und dem öffentlichen Ankläger bleiben. Vergebens erklärte der Deputierte Ruamps bei den 
Verhandlungen über diesen Gesetzesentwurf, es bleibe, wenn er durchgehe, nichts übrig, als 
sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen. 
Wer von Verhaftsbefehlen und dem Todesurteil noch verschont geblieben, 
war wenig glücklicher als jene, die auf dem Blutgerüste den Fall des Henkerbeils erwarteten, 
^chon vor Anbruch des Tages füllten sich die Straßen von Paris mit Weibern und Kin¬ 
dern, die in langen Reihen die Haustüren der Bäcker, Fleischer und Verkäufer von Lebens¬ 
mitteln besetzt hielten. Das Gesetz des Maximums hatte Paris einer ausgehungerten Stadt 
ähnlich gemacht. Die Kaufleute fürchteten den Verkauf wie eine Plünderung und nur die 
furcht vor dem Tode zwang sie zu peinlichen Opfern. Das verlustreiche Geschäft brachte 
überdies noch andere Todesgefahren mit sich. Ein Dekret legte ihnen bei Todesstrafe die 
Verbindlichkeit auf, ein Verzeichnis aller ihrer Waren mit genauer Angabe des Vorrats und 
der Beschaffenheit an der Türe auszuhängen, und ein leichtes Versehen dieser Art konnte sie 
dem Tribunal überliefern. Die Landleute brachten mit Zittern ihre Erzeugnisse zur Stadt. 
Der Kronprinz. 
Nach dem Pastell von Kocharsky. 
(Versailles, Petit Trianon.)
	        
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