Jean Paul Friedrich Richter.
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der warmen Dämmerung durch den starken Mondschein in der Stube
auf und ab waten und etwas Orangenzucker dazu beißen, um das schöne
Welschland mit seinen Gärten auf die Zunge und vor alle Sinne zu
bekommen. Kann er nicht bei dem Monde denken, daß dieselbe Silber¬
scheibe jetzt in Italien zwischen Lorbeerbäumen hänge? Kann er nicht
erwägen, daß die Äolsharfe und die Lerche und die ganze Musik und
die Sterne und die Kinder in heißen und kalten Ländern dieselben sind?
Wenn nun gar die reitende Post, die aus Italien kommt, durchs Dorf
bläset und ihm auf wenigen Tönen blumige Länder an das gefrorne Museums¬
fenster hebt; wenn er alte Rosen- und Lilienblätter aus dem vorigen
Sommer in die Hand nimmt, wohl auch eine geschenkte Schwanzfeder
von einem Paradiesvogel; wenn dabei die prächtigen Klänge Salatzeit,
Kirschenzeit, Trinitatissonntage, Rosenblüte, Marientage das Herz an¬
rühren, so wird er kaum mehr wissen, daß er in Schweden ist, wenn
Licht gebracht wird, und er verdutzt die fremde Stube ansieht. Will er's
noch weiter treiben, so kann er sich daran ein Wachskerzenendchen an¬
zünden, um den ganzen Abend in die große Welt hineinzusehen, aus der
er's her hat. Denn ich sollte glauben, daß am Stockholmer Hofe, wie
anderwärts, von den Hofbedienten Endchen von Wachskerzen, die auf
Silber gebrannt hatten, für Geld zu haben wären.
Aber nun nach Verlauf eines halben Jahres klopft auf einmal etwas
Schöneres als Italien, wo die Sonne viel früher als in Haslau unter¬
geht, nämlich der herrlich beladne längste Tag, an seine Brust an
und hält die Morgenröte voll Lerchengesang schon um 1 Uhr nachts in
der Hand. Ein wenig vor 2 Uhr oder Sonnenaufgang trifft die oben
gedachte niedliche bunte Reihe im Pfarrhause ein, weil sie mit dem
Pfarrer eine kleine Lustreise vorhat. Sie ziehen nach 2 Uhr, wenn alle
Blumen blitzen und die Wälder schimmern. Die warme Sonne droht
kein Gewitter und keinen Platzregen, weil beide selten sind in Schweden.
Der Pfarrer geht so gut in schwedischer Tracht einher wie jeder — er¬
trägt ein kurzes Wams mit breiter Schärpe, sein kurzes Mäntelchen
darüber, seinen Rundhut mit wehenden Federn und Schuhe mit Hellen
Bändern — natürlich sieht er, wie die andern auch, wie ein spanischer
Ritter, wie ein Provence oder sonst ein südlicher Mensch aus, zumal
da er und die muntere Gesellschaft durch die in wenigen Wochen aus
Beeten und Ästen hervorgezogene hohe Blüten- und Blätterfülle fliegen.
Daß ein solcher längster Tag noch kürzer als ein kürzester verfliege,
ist leicht zu denken bei so viel Sonne, Äther, Blüte und Muße. Schon
nach 8 Uhr abends bricht die Gesellschaft auf — die Sonne brennt
sanfter über den halbgeschlossenen schläfrigen Blumen — um 9 Uhr hat
sie ihre Strahlen abgenommen und badet nackt im Blau — gegen 10 Uhr,
wo die Gesellschaft im Pfarrdorfe wieder ankommt, wird der Pfarrer
seltsam bewegt und weich gemacht, weil im Dorfe, obgleich die tiefe laue