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A. Epische Poesie. Vili. Allegorien und Rätsel.
50 Die Probe wird gemacht. Bald ist das schöne Tier,
Eh' noch drei Tage hingeschwunden,
Zum Schatten abgezehrt. „Ich hab's, ich hab's gefunden!"
Ruft Hans. „Jetzt frisch, und spannt es mir
Gleich vor den Pflug mit meinem stärksten Stier!"
55 Gesagt, getan. In lächerlichem Zuge
Erblickt man Ochs und Flügelpferd am Pfluge.
Unwillig steigt der Greif und strengt die letzte Macht
Der Sehnen an, den alten Flug zu nehmen.
Umsonst, der Nachbar schreitet mit Bedacht,
60 Und Phöbus' stolzes Roß muß sich dem Stier bequemen,
Bis nun, vom langen Widerstand verzehrt,
Die Kraft aus allen Gliedern schwindet,
Von Gram gebeugt das edle Götterpferd
Zu Boden stürzt und sich im Sande windet.
65 „Verwünschtes Tier!" bricht endlich Hansens Grimm
Laut scheltend aus, indem die Hiebe flogen.
„So bist du denn zum Ackern selbst zu schlimm!
Mich hat ein Schelm mit dir betrogen."
Indem er noch in seines Zornes Wut
70 Die Peitsche schwingt, kommt flink und wohlgemut
Ein lustiger Gesell die Straße hergezogen.
Die Zither klingt in seiner leichten Hand,
Und durch den blonden Schmuck der Haare
Schlingt zierlich sich ein goldnes Band.
75 „Wohin, Freund, mit dem wunderlichen Paare?"
Ruft er den Bau'r von weitem an.
„Der Vogel und der Ochs an einem Seile,
Ich bitte dich, welch ein Gespann!
Willst du auf eine kleine Weile
80 Dein Pferd zur Probe mir vertrau'n?
Gib acht! Du sollst dein Wunder schau'n!"
Der Hippogryph wird ausgespannt,
Und lächelnd schwingt sich ihm der Jüngling auf den Rücken.
Kaum fühlt das Tier des Meisters sichre Hand,
85 So knirscht es in des Zügels Band