3. Gewöhnlich hielten wir uns in allen unsern Freistunden zur Groß—
mutter, in deren geräumigem Wohnzimmer wir hinlänglich Platz zu unsern
Spielen fanden. Sie wußte uns mit allerlei Kleinigkeiten zu beschäftigen
und mit allerlei guten Bissen zu erquicken. An einem Weihnachtsabend
jedoch setzte sie allen ihren Wohltaten die Krone auf, indem sie uns ein
Puppenspiel vorstellen ließ und so in dem alten Hause eine neue Welt erschuf.
Dieses unerwartete Schauspiel zog die jungen Gemüter mit Gewalt an sich;
besonders auf den Knaben machte es einen sehr starken Eindruck, der in eine
große, langdauernde Wirkung nachklang.
Die kleine Bühne mit ihren stummen Personen, die man uns anfangs nur
vorgezeigt hatte, nachher aber zu eigener Übung und dramatischer Belebung über⸗
gab, mußte uns Kindern um so viel werter sein, als es das letzte Vermächtnis
unsrer guten Großmutter war, die bald darauf durch zunehmende Krankheit
unsern Augen erst entzogen und dann für immer durch den Tod entrissen wurde.
Johann Wolfgang von Goethe. (Aus meinem Leben. Wahrheit und Dichtung.)
14. Das Schloß Boncourt.
1. Ich träum' als Rind mich zurücke
und schüttle mein greises Haupt;
wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder,
die lang' ich vergessen geglaubt!
2. Hoch ragt aus schatt'gen Gehegen
ein schimmerndes Schloß hervor;
ich kenne die Türme, die Zinnen,
die steinerne Brücke, das Tor.
3. Es schauen vom Wappenschilde
die Löwen so traulich mich an;
ich grüße die alten Bekannten
und eile den Burghof hinan.
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4. Dort liegt die Sphinx am Brunnen,
dort grünt der Feigenbaum,
dort, hinter diesen Fenstern,
verträumt' ich den ersten TCraum.
5. Ich tret' in die Burgkapelle
und suche des Ahnherrn Grab;
dort ist's, dort hängt vom Pfeiler
das alte Gewaffen herab.